Entwicklungsprojekt in Kolumbien: Leben tausender Familien verbessert
In einst illegalen Siedlungen baut ein Programm mit deutscher Beteiligung Fußballplätze und eine Kanalisation. Das Geld kommt tatsächlich an.
Dann kamen mit deutscher Unterstützung zwei Programme zur Stadtrandsanierung. Die Straßen wurden gepflastert, Kanalisation gelegt, Fußballplätze wurden gebaut, Bibliotheken, Versammlungsorte, Gemeinschaftsspeisesäle. „Das war eine Freude“, sagt Luz Marina Peña. „Hier kommt sonst nie Geld an, das war unglaublich!“ Acht Jahre ist das her.
Luz María Peña ist 57 Jahre alt. Als sie vor über 30 Jahren in ihr Viertel zog, war das noch eine illegale Siedlung. Seit 16 Jahren ist sie Präsidentin der Bürgervertretung (Junta de Acción Comunal) in La Paz, einem Viertel im Stadtbezirk Rafael Uribe Uribe. In diesen „Vereinigungen gemeinschaftlichen Handelns“ organisieren sich in Kolumbien Bürger*innen. Ihre Anführer*innen sind die lokalen Ansprechpartner*innen der Behörden.
Als Anführerin ihrer Community hat sie die Umsetzung der beiden Programme mitgestaltet. „Meine Aufgabe war es, die Leute zu informieren“, sagt sie. Die Führungspersönlichkeiten seien geschult worden. „Wir lernten so auch die anderen Stadtbezirke kennen, die an dem Programm teilnahmen.“ Das habe die Menschen zusammengebracht.
Der Zugang zu sauberem Wasser ist auf der Welt höchst ungleich verteilt. Ein Rechercheprojekt auf verschiedenen Kontinenten über Trinkwasser, Dürre, Überschwemmungen und Geldströme in der Entwicklungszusammenarbeit unter taz.de/wasser
Bei den Bauprojekten entstanden auch Arbeitsplätze für Menschen aus den Vierteln. „Es kamen viele Projekte, in denen mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet wurde“, sagt Peña. Auf den neuen Fußballfeldern gab es Sportangebote wie das Friedensfußballspiel „Golombiao“, das in den 1990ern in Medellín erfunden wurde, außerdem Rollschuhfahren, Tanz und Betreuung in der Bibliothek. „Die Noten meiner Kinder haben sich dadurch verbessert“, sagt Peña.
Die Stadtrandsanierung verbesserte die Lebensbedingungen für die Armen in einem Prozess, bei dem die Menschen in den Vierteln miteinbezogen wurden und mitbestimmen konnten. „Diese Programme hatten sehr interessante Auswirkungen, weil sie den Gemeinschaften zeigten, dass Sicherheit und Zusammenleben nicht nur vom Staat kommen, sondern gemeinschaftlich errichtet werden“, sagt die 40-jährige Donka Atanassova. Sie leitet die Abteilung zur Förderung der Teilhabe im Institut für Teilhabe und Gemeinschaftshandeln des Distrikts Bogotá.
Zur Zeit des zweiten Programms arbeitete sie in der Sicherheitsbehörde des Distrikts und überwachte in den Bezirken die Umsetzung des Programms. „Ein zweiter wichtiger Punkt war, dass die Menschen merkten, dass Sicherheitsprobleme sich mit Absprache und Teilhabe lösen lassen, als kollektive Antwort auf die Probleme vor Ort“, sagt sie.
Bogotá hat in Zusammenarbeit mit Deutschland rund um den Park Entrenubes im Südosten der Hauptstadt zwei Programme durchgeführt. Das „
lief von 2001 bis 2007 in 41 Vierteln in drei Bezirken, die an den Park angrenzen. Es richtete sich an etwa 85.000 Menschen. Ein Großteil der Viertel war erst kurz vor Projektstart legalisiert worden, ein Teil war zum Start noch illegal. SUR bedeutet Süden. Gleichzeitig sind dies die Anfangsbuchstaben der drei Programm-Bezirke San Rafael, Usme und Rafael Uribe Uribe und die Abkürzung für „Konfliktlösung und Gewaltprävention in Stadtvierteln“. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat das 38 Millionen Euro teure Programm mit einem Zuschuss von 7,06 Millionen Euro unterstützt.Der Hauptstadtdistrikt Bogotá musste mit den Bezirksrathäusern zusammenarbeiten und darüber mit der Bevölkerung zusammenkommen. Ein wichtiger Punkt in Gebieten, in denen der Staat kaum präsent war. Die ausländischen Beteiligten erfüllten dabei laut Luz Marina Peña eine wichtige Funktion, irgendwie zwischen Kontrolle und Brücke.
„Makrozone der Intervention“ war der Parque Entrenubes, laut Abschlussbericht der städtischen Wohnungsbaubehörde und der Wiesbadener Beratungsfirma SUM Consult von 2007 „ein wichtiges ökologisches und Wasserschutzgebiet für die Stadt Bogotá, das Objekt illegaler Steinbrüche war und unter einem Prozess fortschreitender Schädigung litt“. Vor allem der Teil des Parks um den Gipfel Juan Rey verbinde die drei Nachbarbezirke. „Mit der Intervention in den Vierteln um den Park erhoffte man sich, dass die Bevölkerung diesen als Nebeneffekt bewahren und schützen würde“, heißt es in dem Bericht.
So wurden Wasserläufe renaturiert, das Wasser- und Abwassernetz erfasste am Ende 98 Prozent der Bevölkerung. Umweltbildung gehörte zum Communitybuilding. Es entstanden Umweltschutzgruppen, die bis heute aktiv sind. 2003 wurde der Parque Entrenubes von der Stadt zum Ökopark erklärt – was eine Bürgerbewegung seit Ende der 80er Jahre gefordert hatte.
Das zweite Projekt von 2007 bis 2017 hieß „Programa Sur de Convivencia“ (Programm zum Zusammenleben im Süden). Dieses umfasste neben den drei bekannten Bezirken noch Ciudad Bolívar, die Zielgruppe wuchs auf 380.000 Personen. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage legte das Programm einen Fokus auf Gewaltprävention und Konfliktbewältigung. Die Gesamtkosten werden wohl wie geplant bei 16,6 Millionen Euro liegen. Davon hat Deutschland über die KfW rund 5 Millionen Euro ausgezahlt. Die Ergebnisse werden derzeit erst evaluiert, so eine KfW-Sprecherin. In diesem Zusammenhang werde auch die Wirkung des Gesamtvorhabens untersucht, erklärt eine Sprecherin des Bundesentwicklungsministeriums. Als direktes Vorbild für andere Projekte könne es nicht dienen – die Projekte müssten schließlich dem jeweiligen Kontext angepasst werden. „Da diese Kontexte zwischen Ländern und selbst innerhalb von Ländern stark variieren, kann das Vorhaben in Bogota keine Blaupause sein.“
Das Programm war als Musterprojekt für andere Sanierungsprozesse in der Hauptstadt gedacht. Das Weltsiedlungsprogramm UN Habitat zeichnete es 2006 als Vorbild aus, weil sich die Lebensbedingungen von 15.580 armen Familien verbesserten. „Ich bin sehr glücklich“, sagt Luz Marina Peña, „dass wir gekämpft haben, mitgemacht haben und es wirklich Ergebnisse zu sehen gab. Wir haben es geschafft, auf das aufzupassen, was damals gebaut wurde.“
Doch die Hoffnung, dass sich durch das Programm auch die Sicherheit im Bezirk verbessern würde, ging auf Dauer nicht auf. „Die Unsicherheit hat zugenommen“, sagt Luz María Peña. „Es gibt viel Aggression, viele Diebe. Wir haben jetzt überall Obdachlose auf der Straße und Menschen, die bazuco rauchen, Drogendealer.“
Sorgen machen ihr auch die vielen Vertriebenen, Afros und Venezolaner*innen. „Jeden Tag kommen mehr Menschen, sie sind überall.“ Sie schätzt, dass es in letzter Zeit täglich zwischen 200 und 500 Menschen sind, die neu herziehen, wohl auch wegen der Coronapandemie.
Mit dem Ende des Programms habe sich auch die institutionelle Zusammenarbeit verschlechtert, berichtet sie. Es klingt so, als sei der arme Süden wieder in Vergessenheit geraten.
Mitarbeit: Eva Oer
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