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Entwicklungen verschlafen

■ Enttäuschendes Jubiläumskonzert des Monteverdi-Chors

Die Neugier auf künstlerisch individuelle Aussagen, auf die Neuformulierung werkimmanenter Botschaften sollte eigentlich dazu führen, noch die abgedroschensten Repertoirestücke der klassischen Musik interessant zu erhalten und das Wiederhören zum Erlebnis zu machen. Wer sich allerdings mit dieser Erwartungshaltung am Sonntagabend in der Musikhalle einfand, um Bachs h-moll-Messe zu lauschen, sah sich leider arg getäuscht: Denn was der Monteverdi-Chor und die begleitende Hamburger Camerata zu bieten hatten, erschöpfte sich in interpretatorischer Belanglosigkeit und spieltechnischen Unzulänglichkeiten.

Als fatal erwies sich wieder einmal der Rückgriff auf „originales“ Instrumentarium, denn weder zeigten sich die Camerata-Musiker in der Lage, die von Bach vorgesehenen Notenwerte zu realisieren, noch macht diese Wahl ohne Anwendung der barocken Klangsprache überhaupt Sinn. Erst recht nicht dann, wenn der Chor die Stilentwicklungen der letzten dreißig Jahre offenbar verschlafen hat. Das harmonisierende Einebnen jeglicher rhythmischer Akzente, der betont weiche Stimmansatz stehen noch tief in romantischer Musiktradition und rücken Bachs vitales Werk in die Nähe einer überdimensionierten Eurythmieübung.

Auch noch so eindrucksvolle Gesangssolisten konnten den Gesamteindruck spannungslosen Einerleis nicht ändern, da auch die Soloarien von Impulslosigkeit und regelmäßigen Abstürzen der Begleitinstrumente geprägt waren.

Immer klarer erweist sich, daß die Wahl von Gotthart Stier zum Nachfolger des verstorbenen Chorleiters Jürgen Jürgens die künstlerische Weiterentwicklung des Monteverdi-Chores eher behindert als fördert. Denn der Dresdner bringt zwar handwerkliches Geschick im Umgang mit den Sängern mit, hat jedoch, wie fast die gesamte Musikszene der DDR, den Prozeß der Neuentdeckung der Alten Musik von Harnoncourt bis Gardiner einfach ignoriert.

Jörg Königsdorf

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