Enttäuschung in Bosnien: Kritik an EU-Abkommen mit Serbien
Auf dem Balkan herrscht viel Skepsis darüber, ob die Nachgiebigkeit der EU gegenüber Serbien Ergebnisse zeigt.
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SARAJEVO taz Glücklich ist in den Nachbarländern Serbiens niemand über den Abschluss des Stabilitäts-und Assoziierungsabkommens (SAA) der EU mit Serbien. Manche sind enttäuscht. "Eine kalte Dusche für Bosnien und Herzegowina", titelte am Mittwoch die Tageszeitung Oslobodjenje in Sarajevo. Brüssel gab nicht nur Serbien grünes Licht, gleichzeitig stellte die EU den Abschluss eines SAA-Abkommens mit Bosnien und Herzegowina zurück, obwohl noch wenige Tage zuvor die EU die Bereitschaft zur Unterzeichnung an Bosnien signalisiert hatte.
"Uns wird gesagt, es existierten technische Probleme mit der Übersetzung des Textes in 27 Sprachen", erklärte das kroatische Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums, Zeljko Komsic, "für Serbien existieren die offensichtlich nicht." Für Haris Silajdzic, Vertreter der bosniakischen Volksgruppe im Staatspräsidium, ist es ein einmaliger Vorgang, dass "ein wegen Kriegsverbrechen und Genozid angeklagter Staat belohnt werde", während die Opfer der Aggressionen der 90iger vertröstet würden.
Am Rande einer Konferenz des Regionalen Kooperationsrates in Sarajevo, an dem Diplomaten aus allen Staaten Südosteuropas teilnahmen, tauchten am Dienstag viele kritische Stimmen auf. Es sei gut gewesen, Hürden für die einzelnen Staaten aufzustellen, um sie zu zwingen, einen Rechtsstaat aufzubauen, erklärte Momcilo Radulovic von der "Bewegung für Europa" aus Montenegro. Aus taktischen Gründen dürfe man nicht alles Erreichte in Frage stellen.
Viele Teilnehmer zeigten sich entsetzt darüber, dass die EU als Vorbedingung für die Unterzeichnung des Abkommens nicht mehr die Festnahme gesuchter Kriegsverbrecher einfordert. Der Vorsitzende des 1999 gegründeten "Stabilitätspaktes für Südosteuropa", der lange Jahre auf dem Balkan tätige österreichische Diplomat Erhard Busek, erklärte, "diese Politik des Appeasements hat auf dem Balkan niemals Erfolg gehabt". Busek erinnerte damit an die Reaktionen aus Europa zu Beginn der Balkankriege 1991 und während des Bosnienkrieges 1992-95, als die europäischen Mächte immer wieder versuchten, der damaligen serbischen Führung unter Slobodan Milosevic entgegenzukommen. Nach Busek gibt es zwei Positionen in der EU beim Vorgehen gegenüber Serbien: "Die einen glauben, mit einem weiteren Entgegenkommen die europäisch ausgerichteten Kräfte in Serbien zu stärken, die anderen sind da skeptisch. Zu Letzteren gehöre ich." Busek präzisiert seine Haltung: "Es entsteht auf dem Balkan das Gefühl, Serbien werde bevorzugt, man denke nur, wie klar die Position der EU in Bezug auf Kroatien im Falle des vom UN-Tribunal in Den Haag gesuchten Generals Ante Gotovina war." Buseks Resumée: "Man hat jetzt einfach Positionen aufgegeben, ohne etwas dafür zu bekommen. Das ist ein sehr schwaches Verhandlungsergebnis der EU".
Die Reaktionen in Serbien geben Busek Recht. In der Presse werden nicht die proeuropäischen Kräfte unter Präsident Boris Tadic, sondern der bisherige Ministerpräsident Vojislav Kostunica gelobt. Die Entscheidung der EU wird als Kapitulation Brüssels und als ein Sieg Kostunicas interpretiert. Sollten bei den serbischen Parlamentswahlen am 11. Mai die Nationalisten triumphieren, dürfte das gravierende Konsequenzen haben. Der mit der Bildung einer Rechtskoalition liebäugelnde Kostunica hat schon angekündigt, das Abkommen mit der EU annullieren zu wollen. Für Kostunica bedeutet das Abkommen implizit die ungeliebte Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos. ERICH RATHFELDER
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