Entscheidung in Karlsruhe: Neues Wahlrecht bis 2011
Das Verfassungsgericht kritisiert nicht die Überhangmandate, sondern vereinzelt auftretende "negative Stimmeffekte".
BERLIN taz | Vor knapp einem Jahr, im Juli 2008, forderte das Bundesverfassungsgericht eine Korrektur des Wahlrechts. Ein kleiner komplizierter Fehler kann derzeit dazu führen, dass die Stimmabgabe für eine Partei dieser schadet, statt ihr zu nützen.
Dieser Fehler muss aber erst bis 2011 getilgt werden, lautet die Vorgabe aus Karlsruhe. Der Bundestag soll genug Zeit haben, auch über eine größere Reform des Wahlrechts nachzudenken. Die Bundestagswahl im September darf also noch nach dem alten Wahlrecht durchgeführt werden. Eine vorzeitige Änderung des Wahlrechts ist aber auch nicht verboten.
Das komplizierte Problem kann dann entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland Überhangmandate erzielt, das heißt mehr Direktmandate holt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Dann kann es für sie vereinzelt günstiger sein, dass sie in diesem Bundesland ein eher schlechtes Zweitstimmenergebnis erhält. Voraussetzung dafür ist aber, dass zugleich bei der überregionalen Reststimmenverteilung ein anderer Landesverband der gleichen Partei ohne Überhangmandate zum Zuge kommt.
Normalerweise merken die Wähler solche paradoxen Auswirkungen ihrer Stimmabgabe gar nicht, doch bei der Wahl 2005 waren die Negativeffekte plötzlich offensichtlich. Weil im Wahlkreis Dresden I eine Kandidatin kurz vor der Wahl verstarb, fand dort der Wahlgang erst zwei Wochen später statt. Nun konnten Mathematiker auf Grundlage des Wahlergebnisses im Rest Deutschlands vorrechnen, wie die CDU ein zusätzliches Mandat bekommen könne. Bei der Neugestaltung des Wahlrechts hat Karlsruhe dem Bundestag viel Spielraum eingeräumt. Überhangmandate wurden vom Verfassungsgericht dabei nicht verboten. Deren Abschaffung könnte aber auch das Problem der negativen Stimmeffekte lösen. Eine andere Alternative ist die von den Grünen vorgeschlagene bundesweite Verrechnung der Direktmandate. Auch ein Mehrheitswahlsystem, das die großen Parteien stärkt und die kleinen schwächt, hält Karlsruhe für zulässig.
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