Entscheidung im Saarland: Grüne für Koalition mit CDU und FDP
Breite Mehrheit für eine Premiere: Der Grünen-Parteitag im Saarland hat für Koalitionsgespräche mit CDU und FDP votiert. Den letzten Ausschlag dafür gab Linkspartei-Chef Lafontaine.
Die Grünen im Saarland haben sich entschieden: für eine Koalition mit CDU und FDP und gegen ein Bündnis mit SPD und Linken. Die Delegierten des Parteitages am Sonntag in Saarlouis folgten mit 117 zu 32 Stimmen der Empfehlung des Vorstands. Partei- und Fraktionschef Hubert Ulrich hatte noch in der Nacht Delegierte zu überzeugen versucht.
Den letzten Ausschlag gab jedoch die Ankündigung von Linksparteichef Oskar Lafontaine vom Freitag, den Fraktionsvorsitz im saarländischen Landtag nun doch auf Dauer einzunehmen. Dafür hatte er sogar auf den Vorsitz der Bundestagsfraktion der Linken verzichtet. Viele Grüne empfanden dies als "Drohung". Und als weiteren Beleg für die Unzuverlässigkeit der Linken: "Ich habe keinerlei Vertrauen mehr zu Lafontaine und Teilen der Fraktion der Linken Saar", sagte Ulrich.
Befürworter einer Koalition mit SPD und Linken bei den Grünen zweifelten im Vereinsheim von Saarlouis denn auch am Verstand von Lafontaine, der "doch gewusst haben muss, dass seine überraschende Kehrtwende schrille Abwehrreaktionen bei den Grünen provozieren würde", so ein frustrierter Delegierter aus dem Saarpfalzkreis. Andere widersprachen ihm. Lafontaine habe seine Rückkehr an die Saar doch an die Installation einer rot-rot-grünen Koalition geknüpft und könne kein Interesse an deren Sabotage haben.
Auf dem Parteitag verwies Hubert Ulrich auf die Verhandlungserfolge der Sondierungskommission. Man habe auch CDU und FDP die Abschaffung der Studiengebühren und die Einführung "echter Gesamtschulen" abringen können. Dass jetzt Ministerpräsident Peter Müller sogar den Atomausstiegsbeschluss stütze, sei ein weiteres überraschendes Ergebnis der Sondierungsgespräche. Zudem seien den Grünen zwei Schlüsselministerien - Umwelt samt Energie und Verkehr sowie Bildung - zugestanden worden.
Wegen der "Unzuverlässigkeit" der Linken und der vorliegenden schriftlichen Zusicherung von CDU und FDP, alle inhaltlichen und auch personellen Versprechen einhalten zu wollen, empfahl er den Delegierten dann, für Jamaika zu stimmen. Das eigentliche Entscheidungskriterium dafür sei die Stabilität. Mit der Linken als Partner aber wäre "das ganze Haus schon beim ersten Windstoß weggeflogen", so Ulrich. Lafontaine sei der Hauptschuldige an der Misere.
Lafontaine selbst wies in einer am Sonntag verbreiteten Erklärung diese Anschuldigung zurück und sprach von "Koalition der Wahlbetrüger". Ulrich habe von Anfang an auf ein Bündnis mit CDU und FDP hingearbeitet.
Auch auf dem Parteitag waren Gegenpositionen zu hören. Von der Grünen Jugend oder auch vom Saarbrücker Kreisvorsitzenden Thomas Brück, der eine "innerparteiliche Opposition" gegen den "Pakt mit den Marktradikalen und Atombefürwortern" ankündigte. Für Jamaika habe er nicht in Gorleben oder an der Startbahn West auf den Barrikaden gestanden, wetterte Brück. "Wir sind halt eine bürgerliche Partei geworden, die jetzt mit bürgerlichen Parteien koaliert", merkte ein Delegierter an. Es gelte, "Abschied zu nehmen von den ganzen linken Ideologien".
Das konservative Lager habe sich bewegt, so Ulrich im Schlusswort. Man wage jetzt etwas ganz Neues. Und er ist zuversichtlich, "dass das auch klappt - fünf Jahre lang".
Der Chef der Bundesgrünen, Cem Özdemir, erklärte der taz, dass man die "autonome Entscheidung" der Saar-Grünen respektiere, und lobte die "grüne Handschrift" der Ergebnisse. Aber, so Özdemir weiter, "wir hätten uns auch einen Ministerpräsidenten Heiko Maas sehr gut vorstellen können. Offenbar waren neben den programmatischen auch persönliche Gründe wichtig."
Eine Signalwirkung bestritt er ebenso wie NRW-Landeschef Arndt Klocke. Dieser sagte der taz, dass die Entscheidung beweise, "dass die Grünen gesprächsbereit sind, mit allen Parteien grüne Inhalte durchzusetzen". Für die NRW-Grünen komme Jamaika "nicht in Frage, es sei denn, CDU und FDP verändern sich in Punkten wie der Schul- und Energiepolitik".
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