Entscheidende Steuer-Abstimmung verloren: Niederlage für Argentiniens Präsidentin
Im Streit zwischen Bauern und Regierung über höhere Exportsteuern verliert Argentiniens Präsidentin die entscheidende Abstimmung knapp - und ist in der Krise.
BUENOS AIRES taz Mit dieser Schlappe hatte Cristina Kirchner nicht gerechnet. Im Streit zwischen Bauern und Regierung über die Erhöhung von Exportsteuern auf Agrarprodukte in Argentinien hat der Senat gegen eine Gesetzesvorlage von Präsidentin Cristina Kirchner gestimmt. Es war fünf vor vier Uhr morgens als ihr eigener Vizepräsident Julio Cobos sie bat, sie möge bitte eine neue Gesetzesvorlage ins Parlament einreichen. Cobos war nach einer 18-stündigen Debatte plötzlich das Zünglein an der Waage.
36 Senatoren hatten sich für und 36 gegen die Regierungsvorlage ausgesprochen. Gemäß dem parlamentarischen Reglement musste Cobos in seiner Eigenschaft als Senatspräsident die Entscheidung herbeiführen. Argentinien brauche in dieser Frage einen Konsens, und diese Vorlage führe ihn nicht herbei, begründete Cobos seine Ablehnung. Damit stellte er sich öffentlich gegen Cristina Kirchner, die bis zuletzt versucht hatte, ihre Vorlage ohne große Änderungen durch das Parlament zu bringen. Im Abgeordnetenhaus war das Gesetz Anfang Juli noch mit knapper Mehrheit angenommen worden. Und unter den Senatoren hatte die Zustimmung zur Regierungsvorlage als wesentlich einfacher und sicherer gegolten.
Präsidentin Kirchner hatte im März eine drastische Erhöhung der Exportsteuern auf Getreide und Ölsaaten wie Soja beschlossen. Daraufhin hatten Landwirte mit Streiks, Lieferboykott und Straßenblockaden protestiert. In den Supermärkten der Städte war es zu teils erheblichen Versorgungsengpässen gekommen. Der Export von Getreide und Soja kam zum Erliegen. Die Verordnung, die bis zu weiteren Entscheidungen jedoch in Kraft bleibt, sieht vor, dass die Steuern gemäß dem Weltmarktpreis steigen. Vor allem Landwirte mit kleinen und mittleren Anbauflächen fürchten dadurch um ihre Existenz. Die Regierung rechnet mit Mehreinnahmen von rund zwei Milliarden US-Dollar.
Gegner und Befürworter hatte die ganze Nacht über auf Großbildleinwänden die Debatte verfolgt. Trotz Winter herrschen in Buenos Aires seit Tagen hochsommerliche Temperaturen. Während die Vorsitzenden der vier großen Agrarverbände und ihre Anhängern in einem Park im Stadtviertel Palermo zusahen, hatten sich die Regierungsanhänger vor dem Kongressgebäude versammelt. Entsprechend unterschiedlich war die Stimmung an beiden Orten nach der Entscheidung. Eduardo Buzzi, Präsident der Federación Agraria, sprach von einem "wunderbaren" Ergebnis und bewertete die Entscheidung als "historisch und hoffungsvoll für die politischen Institutionen und den Föderalismus" des Landes.
Das gute Wetter hatte auch am Dienstag Anteil daran, dass über 300.000 Menschen den Aufrufen zu zwei Kundgebungen gefolgt waren. Während die Agrarverbände gut 220.000 Menschen gegen die Regierungsvorlage auf die Straße bringen konnten, demonstrierten vor dem Kongress rund 90.000 Anhänger von Präsidentin Cristina Kirchner. In seiner Rede versicherte der ehemalige Präsident und jetzige Parteivorsitzende der peronistischen Partei, Néstor Kirchner, jedwede Entscheidung des Senats anzuerkennen.
Ganz unerwartet kam die Entscheidung von Julio Cobos nicht. Der Vizepräsident hatte sich schon vor gut zwei Wochen versucht mit oppositionellen Gouverneuren ein Kompromissvorschlag zu initiieren. Er war daraufhin von Präsidentin Kirchner durch ihren Kabinettschef öffentlich abgerüffelt worden. Seither herrscht zwischen Cobos und Kirchner polare Kälte. Cobos gehört dem politischen Lager der oppositionellen Radikalen Bürgerunion UCR an. In seiner Abstimmungserklärung versicherte er, er wolle weiterhin das Amt des Vizepräsidenten bis zum Ende der Amtsperiode 2011 bekleiden. Ob und wie dies möglich sein wird, war am frühen Morgen noch nicht klar.
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