Ging es wirklich um „Folter“? Und ist die Sache jetzt rechtsstaatlich abgeschlossen?
Nein!
In der Pressemitteilung des OLG Frankfurt über das Urteil, nach dem das Land Hessen an Gäfgen 3000 Euro Entschädigung zu zahlen hat, kommt der Begriff „Folter“ gar nicht vor.
Aber durch nahezu alle Gazetten geistert der Satz einer Presseagentur „Der Kindermörder, dem die Polizei Folter androhte, erhält 3.000 Euro vom Land Hessen“.
Ist den Medien gleichgültig, was das Gesetz sagt? Ob die Tatbestandsvoraussetzungen des gesetzlichen Foltertatbestandes (Art. 1 der Antifolterkonvention der UNO) durch das Verhalten der Polizei gegenüber Gäfgen erfüllt werden?
Fest steht: „die Folterandrohung“ ist kein Produkt der Rechtsanwendung, sondern ein Produkt einer Hysterie oder Psychose einer Öffentlichen Meinung, die sich nicht an Gesetz und Recht orientieren will.
Im Strafverfahren gegen Daschner und Ennigkeit erfolgte weder die Anklage noch die urteilsmäßige Verwarnung durch die Strafkammer „wegen Folterandrohung“ – das wäre im Terminus des Strafgesetzes Aussageerpressung, § 343 StGB. Dessenungeachtet referiert Christian Rath, daß vor einem Jahr das Landgericht Frankfurt Gäfgen 3.000 Euro Entschädigung für die Folterdrohung zusprach, und daß das Land Hessen dies inakzeptabel fand und in Berufung ging – und seine Berufung zurückgewiesen wurde. Freilich war auch für das Land Hessen die Verurteilung deshalb inakzeptabel, weil das, was seiner Polizei als „Folterandrohung“ vorgehalten wird, nach dem Gesetz – ohne das eine Bestrafung nicht möglich ist – keine Folterandrohung war.
Darin, daß, wie der Vorsitzende OLG-Richter Ulrich Stump annimmt, eine erneute Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durch Zurückweisung der Berufung des Landes Hessen gegen das von Gäfgen nicht angefochtene Urteil des LG Frankfurt abgewendet wird, wenn das Land Hessen davon absieht, das Verfahren über Nichtzulassungsbeschwerde und Revision an den Bundesgerichtshof zu bringen, hat Stump recht. Damit, so scheint er zu denken, sei dann dieser Fall seitens der Justiz endgültig ad acta gelegt. Wenn es so wäre, könnte die Frage, ob das OLG-Urteil richtig ist, nur noch akademische Bedeutung erlangen.
Indes werden nicht nur die Jünger von Immanuel Kant unzufrieden sein, wenn der Staat Unrecht Unrecht sein läßt, weil es ja nicht mehr angefochten und die Akte geschlossen werden kann. So funktioniert Rechtsstaat nicht.
Wie die Unrechts-Entscheidung gegen Daschner und Ennigkeit durch die 27. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt sind auch die zu Gunsten von Gäfgen ergangenen Entschädigungsentscheidungen des EGMR, der Zivilkammer des LG Frankfurt und des OLG Frankfurt ein Skandal.
Entscheidender Fehler des Straf-Urteils:
Während die Hauptverhandlung vor der 27. Strafkammer ergeben hatte, daß die Angeklagten in einer Notwehrsituation (§ 32 StGB) in Bezug auf eine angenommene Freiheitsberaubung und in einer Nothilfesituation (§ 34 StGB) in Bezug auf die als geboten angenommene Lebensrettung gehandelt hatten, allerdings in der irrigen Annahme, daß Jakob von Metzler noch lebt, hatten die Angeklagten in einem unvermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtum gehandelt, der die Straflosigkeit zur Folge hat. Das ist zwingendes Recht.
Es war ein schwerer Rechtsanwendungsfehler der Strafkammer, Polizeibeamte dann, wenn sie nicht als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sondern in anderer polizeilicher Funktion, nämlich zur Rettung von Menschenleben handeln, als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft zu behandeln, um deren Handeln an der StPO zu messen und so der Anwendung der zur Straflosigkeit führenden gesetzlichen Regeln über den unvermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtum zu entziehen.
Gestritten wird unter Juristen darüber, ob der Erlaubnistatbestandsirrtum bei seiner Unvermeidbarkeit die Schuld ausschließt (Verbotsirrtum), oder ob er die Rechtswidrigkeit ausschließt, oder ob der im Erlaubnistatbestandsirrtum Handelnde bereits den entsprechenden Tatbestand schon nicht erfüllt. Dieser Streit muß allerdings vom Strafrichter nicht entschieden werden. Denn gleich auf welchen der drei Standpunkte er sich stellt: er hat bei unvermeidbarem Erlaubnistatbestandsirrtum freizusprechen, sei es nach § 16 StGB oder nach § 17 StGB.
Daß die Strafkammer Daschner und Ennigkeit schuldig sprach, war also nicht einer etwaigen Berücksichtigung eines Folterverbots und ebenso wenig einer Rechtsstaatlichkeit geschuldet, sondern es war kriminelles staatliches Unrecht gegenüber den Angeklagten: ein Verbrechen gemäß § 339 StGB.
Rechtsstaatlich ist an diesem Vorgang einzig die Transparenz, die die Justiz in üblicher Weise durch die Veröffentlichung der Urteilsgründe im Internet herstellt.
Dadurch, daß die Pressesprecher der Gerichte Entscheidungsgründe solcher Entscheidungen ohne Rücksicht auf das Ansehen der die Entscheidung Verantwortenden der Öffentlichkeit ohne Nachweis eines berechtigten Interesses oder sonstiger Vorbedingungen gebührenfrei zugänglich machen, kann sich jeder, der das einschlägige materielle Recht und die Verfahrensabläufe kennt, ein Bild davon machen, wie Justiz im Einzelfall funktioniert hat, und, in diesem Fall: wie durch ein Kollegialgericht Recht gebeugt wird. Und er wird verfolgen können, welche Folgen diese Rechtsbeugung für die Rechtsbeuger hat oder nicht hat.
Diese Transparenz herrscht Gott sei dank in gleicher Weise am EGMR.
Die Befassung mit diesem Vorfall hätte den für die Verfolgung des Amtsdelikts Rechtsbeugung zuständigen Staatsanwälten, aber auch dem Land Hessen als Dienstvorgesetzem der Polizeibeamten sowie der hessischen Richter gut zu Gesicht gestanden.
Noch immer ist ein richterdienstrechtliches Vorgehen gegen die in das Unrecht an Daschner und Ennigkeit involvierten Richter rechtlich möglich, aber bisher nicht erkennbar.
Und das Urteil des EGMR ist keinesfalls der rechtsstaatlichen Weisheit letzter Schluß.
Denn die von dem EGMR angewandte EMRK gilt zwar in Deutschland als deutsches Recht, aber nur als einfaches Recht im Range unter der Verfassung. Eine Entscheidung des EGMR muß sich also am deutschen Verfassungsrecht messen lassen und ist überprüfbar durch die deutsche Verfassungsgerichtsbarkeit.
Bisher lassen alle zum Handeln aufgerufenen staatlichen Stellen das Unrecht, das der Staat Daschner und Ennigkeit durch diesen Schuldspruch angetan hat, auf sich beruhen.
Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig.
Die Strafverfolgung der Rechtsbeugung ist bereits nicht mehr möglich. Der Staat hat Verjährung eintreten lassen. Lediglich die Strafverfolgung der Staatsanwälte, die sich wegen Absehen von der Rechtsbeugungsverfolgung zu verantworten haben, ist noch nicht verjährt. Ich bin gespannt, ob Ermittlungen beginnen werden.
Zu dem Unrecht, das der Staat Daschner und Ennigkeit im Jahre 2005 durch diesen Schuldspruch angetan hat, hat sich der Staat bis heute nicht bekannt.
Und durch die Willfährigkeit gegenüber der evident rechtswidrigen Entscheidung des EGMR zu Gunsten Gäfgens leistet das OLG Frankfurt mit seiner Entscheidung über eine Entschädigung des Landes Hessen an Gäfgen dem Rechtsstaat einen Bärendienst.
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