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Entschädigung wegen Folterandrohung3.000 Euro für Magnus Gäfgen

Das OLG Frankfurt bestätigt: Der Kindermörder Magnus Gäfgen, dem die Polizei Folter androhte, erhält 3.000 Euro vom Land Hessen.

Hat Recht bekommen: Magnus Gäfgen (links). Bild: dapd

FRANKFURT/MAIN taz | Der Entführer und Kindsmörder Magnus Gäfgen erhält vom Land Hessen 3.000 Euro Entschädigung. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt lehnte in vollem Umfang die Berufung des Landes Hessen ab. Ob Gäfgen das Geld ausbezahlt wird, ist aber noch offen.

Gäfgen hatte vor zehn Jahren den elfjährigen Bankierssohn Jakob von Metzler entführt und sofort getötet. Nachdem Gäfgen bei der Übergabe des Lösegeldes festgenommen wurde, versuchte die Polizei den Aufenthaltsort des vermeintlich noch lebenden Jungen herauszubekommen.

Als Gäfgen immer weiter log, wies der Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner einen Polizisten an, Gäfgen die Zufügung von Schmerzen anzudrohen. Die Drohung hatte aber nur bedingt Erfolg. Gäfgen führte die Polizisten zur Leiche des Jungen. Später wurde Gäfgen zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt. Daschner und der Polizist erhielten eine strafrechtliche Verwarnung.

Vor einem Jahr sprach das Landgericht Frankfurt Gäfgen 3.000 Euro Entschädigung für die Folterdrohung zu. Das Land Hessen fand dies aber inakzeptabel und ging in Berufung. Ohne Erfolg. Wie der Vorsitzende OLG-Richter Ulrich Stump ausführte, hatte das OLG keine Alternative, als die Entschädigung zu bestätigen.

Entscheidung des Gerichtshofs für Menschenrechte

Er verwies auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg aus dem Jahr 2010. Dort war festgestellt worden, dass Gäfgen eine „unmenschliche Behandlung“ erfahren hatte, die durch das minimale Strafurteil gegen Daschner nicht aufgewogen wurde. Deshalb müsse Gäfgen eine Entschädigung erhalten.

„Wenn wir ihm die Entschädigung verweigert, kann der Kläger erneut den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen“, erklärte Richter Stump. „Dies ist eine symbolische Entschädigung.“

Nach derzeitigem Stand wird das Geld aber nicht an Gäfgen ausgezahlt. Weil dieser sich 2006 für zahlungsunfähig erklärt hat, erhob der Insolvenz-Treuhänder Anspruch auf das Geld und bekam ihn rechtskräftig zugesprochen. Ob Gäfgen hiergegen Verfassungsbeschwerde einlegt, konnte sein Anwalt Michael Heuchemer nach der Urteilsverkündung noch nicht sagen. (Az. 1 U 201/11)

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8 Kommentare

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  • WH
    Wolfgang Höfft

    Ging es wirklich um „Folter“? Und ist die Sache jetzt rechtsstaatlich abgeschlossen?

     

     

    Nein!

     

     

    In der Pressemitteilung des OLG Frankfurt über das Urteil, nach dem das Land Hessen an Gäfgen 3000 Euro Entschädigung zu zahlen hat, kommt der Begriff „Folter“ gar nicht vor.

     

     

    Aber durch nahezu alle Gazetten geistert der Satz einer Presseagentur „Der Kindermörder, dem die Polizei Folter androhte, erhält 3.000 Euro vom Land Hessen“.

     

     

    Ist den Medien gleichgültig, was das Gesetz sagt? Ob die Tatbestandsvoraussetzungen des gesetzlichen Foltertatbestandes (Art. 1 der Antifolterkonvention der UNO) durch das Verhalten der Polizei gegenüber Gäfgen erfüllt werden?

     

     

    Fest steht: „die Folterandrohung“ ist kein Produkt der Rechtsanwendung, sondern ein Produkt einer Hysterie oder Psychose einer Öffentlichen Meinung, die sich nicht an Gesetz und Recht orientieren will.

     

     

    Im Strafverfahren gegen Daschner und Ennigkeit erfolgte weder die Anklage noch die urteilsmäßige Verwarnung durch die Strafkammer „wegen Folterandrohung“ – das wäre im Terminus des Strafgesetzes Aussageerpressung, § 343 StGB. Dessenungeachtet referiert Christian Rath, daß vor einem Jahr das Landgericht Frankfurt Gäfgen 3.000 Euro Entschädigung für die Folterdrohung zusprach, und daß das Land Hessen dies inakzeptabel fand und in Berufung ging – und seine Berufung zurückgewiesen wurde. Freilich war auch für das Land Hessen die Verurteilung deshalb inakzeptabel, weil das, was seiner Polizei als „Folterandrohung“ vorgehalten wird, nach dem Gesetz – ohne das eine Bestrafung nicht möglich ist – keine Folterandrohung war.

     

     

    Darin, daß, wie der Vorsitzende OLG-Richter Ulrich Stump annimmt, eine erneute Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durch Zurückweisung der Berufung des Landes Hessen gegen das von Gäfgen nicht angefochtene Urteil des LG Frankfurt abgewendet wird, wenn das Land Hessen davon absieht, das Verfahren über Nichtzulassungsbeschwerde und Revision an den Bundesgerichtshof zu bringen, hat Stump recht. Damit, so scheint er zu denken, sei dann dieser Fall seitens der Justiz endgültig ad acta gelegt. Wenn es so wäre, könnte die Frage, ob das OLG-Urteil richtig ist, nur noch akademische Bedeutung erlangen.

     

     

    Indes werden nicht nur die Jünger von Immanuel Kant unzufrieden sein, wenn der Staat Unrecht Unrecht sein läßt, weil es ja nicht mehr angefochten und die Akte geschlossen werden kann. So funktioniert Rechtsstaat nicht.

     

     

    Wie die Unrechts-Entscheidung gegen Daschner und Ennigkeit durch die 27. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt sind auch die zu Gunsten von Gäfgen ergangenen Entschädigungsentscheidungen des EGMR, der Zivilkammer des LG Frankfurt und des OLG Frankfurt ein Skandal.

     

     

     

    Entscheidender Fehler des Straf-Urteils:

     

    Während die Hauptverhandlung vor der 27. Strafkammer ergeben hatte, daß die Angeklagten in einer Notwehrsituation (§ 32 StGB) in Bezug auf eine angenommene Freiheitsberaubung und in einer Nothilfesituation (§ 34 StGB) in Bezug auf die als geboten angenommene Lebensrettung gehandelt hatten, allerdings in der irrigen Annahme, daß Jakob von Metzler noch lebt, hatten die Angeklagten in einem unvermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtum gehandelt, der die Straflosigkeit zur Folge hat. Das ist zwingendes Recht.

     

    Es war ein schwerer Rechtsanwendungsfehler der Strafkammer, Polizeibeamte dann, wenn sie nicht als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sondern in anderer polizeilicher Funktion, nämlich zur Rettung von Menschenleben handeln, als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft zu behandeln, um deren Handeln an der StPO zu messen und so der Anwendung der zur Straflosigkeit führenden gesetzlichen Regeln über den unvermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtum zu entziehen.

     

    Gestritten wird unter Juristen darüber, ob der Erlaubnistatbestandsirrtum bei seiner Unvermeidbarkeit die Schuld ausschließt (Verbotsirrtum), oder ob er die Rechtswidrigkeit ausschließt, oder ob der im Erlaubnistatbestandsirrtum Handelnde bereits den entsprechenden Tatbestand schon nicht erfüllt. Dieser Streit muß allerdings vom Strafrichter nicht entschieden werden. Denn gleich auf welchen der drei Standpunkte er sich stellt: er hat bei unvermeidbarem Erlaubnistatbestandsirrtum freizusprechen, sei es nach § 16 StGB oder nach § 17 StGB.

     

     

    Daß die Strafkammer Daschner und Ennigkeit schuldig sprach, war also nicht einer etwaigen Berücksichtigung eines Folterverbots und ebenso wenig einer Rechtsstaatlichkeit geschuldet, sondern es war kriminelles staatliches Unrecht gegenüber den Angeklagten: ein Verbrechen gemäß § 339 StGB.

     

     

    Rechtsstaatlich ist an diesem Vorgang einzig die Transparenz, die die Justiz in üblicher Weise durch die Veröffentlichung der Urteilsgründe im Internet herstellt.

     

    Dadurch, daß die Pressesprecher der Gerichte Entscheidungsgründe solcher Entscheidungen ohne Rücksicht auf das Ansehen der die Entscheidung Verantwortenden der Öffentlichkeit ohne Nachweis eines berechtigten Interesses oder sonstiger Vorbedingungen gebührenfrei zugänglich machen, kann sich jeder, der das einschlägige materielle Recht und die Verfahrensabläufe kennt, ein Bild davon machen, wie Justiz im Einzelfall funktioniert hat, und, in diesem Fall: wie durch ein Kollegialgericht Recht gebeugt wird. Und er wird verfolgen können, welche Folgen diese Rechtsbeugung für die Rechtsbeuger hat oder nicht hat.

     

    Diese Transparenz herrscht Gott sei dank in gleicher Weise am EGMR.

     

     

    Die Befassung mit diesem Vorfall hätte den für die Verfolgung des Amtsdelikts Rechtsbeugung zuständigen Staatsanwälten, aber auch dem Land Hessen als Dienstvorgesetzem der Polizeibeamten sowie der hessischen Richter gut zu Gesicht gestanden.

     

     

    Noch immer ist ein richterdienstrechtliches Vorgehen gegen die in das Unrecht an Daschner und Ennigkeit involvierten Richter rechtlich möglich, aber bisher nicht erkennbar.

     

     

    Und das Urteil des EGMR ist keinesfalls der rechtsstaatlichen Weisheit letzter Schluß.

     

    Denn die von dem EGMR angewandte EMRK gilt zwar in Deutschland als deutsches Recht, aber nur als einfaches Recht im Range unter der Verfassung. Eine Entscheidung des EGMR muß sich also am deutschen Verfassungsrecht messen lassen und ist überprüfbar durch die deutsche Verfassungsgerichtsbarkeit.

     

     

    Bisher lassen alle zum Handeln aufgerufenen staatlichen Stellen das Unrecht, das der Staat Daschner und Ennigkeit durch diesen Schuldspruch angetan hat, auf sich beruhen.

     

    Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig.

     

     

    Die Strafverfolgung der Rechtsbeugung ist bereits nicht mehr möglich. Der Staat hat Verjährung eintreten lassen. Lediglich die Strafverfolgung der Staatsanwälte, die sich wegen Absehen von der Rechtsbeugungsverfolgung zu verantworten haben, ist noch nicht verjährt. Ich bin gespannt, ob Ermittlungen beginnen werden.

     

     

    Zu dem Unrecht, das der Staat Daschner und Ennigkeit im Jahre 2005 durch diesen Schuldspruch angetan hat, hat sich der Staat bis heute nicht bekannt.

     

     

    Und durch die Willfährigkeit gegenüber der evident rechtswidrigen Entscheidung des EGMR zu Gunsten Gäfgens leistet das OLG Frankfurt mit seiner Entscheidung über eine Entschädigung des Landes Hessen an Gäfgen dem Rechtsstaat einen Bärendienst.

  • WH
    Wolfgang Höfft

    Das Gesetzeszitat von Klaus Reinhold ist eine Finte.

     

    Das Strafgesetzbuch enthält keinen "§ 340 a StGB"

  • KR
    Klaus Reinhold

    § 340 a StGB

     

    Präventivfolterhandlungen im Amt - Gefahrenabwehrfolter

     

    (1) Ein Amtsträger, der während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst eine Folterhandlung zur Erlangung von Informationen einer Person, deren Wissen Lebensgefahr eines Anderem abwenden ließe, begeht oder durch Untergebene begehen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. Die Androhung von Zwang in der polizeilichen Präventivbefragung, ist der Durchführung gleichzusetzen. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

     

    (2) In besonders schweren Fällen, ist bis auf fünfzehn Jahren zu erkennen. Dies liegt in der Regel dann vor, wenn der mit unmittelbaren Zwang Befragte körperliche Verletzungen, psychische Schädigungen oder eine das Leben bedrohende Behandlung erfuhr.

     

    (3) Die in § 136 a StPO genannten Fälle, sind hierauf gleichermaßen anzuwenden obligativ im jeweiligen Polizeirecht der Länder. Eine gleiche Regelung für BKA-Beamte, ergeht durch Rechtsverordnung der Bundesregierung.

  • H
    Hund

    Wieder ein Fall dafür, dass wir die EU nicht brauchen.

     

    Recht ist meist link.

     

    Einen Kindermörder muß ich nicht ausgrenzen, aber auch als das sehen, was er ist.

     

    Recht wird benutzt, um perverse Situationen gut zu heißen.

     

    Das kann es nicht sein.

     

    Unser Recht ist äußerst begrenzt, weil wir es sind.

     

    Keiner soll sagen, daß das toll ist.

     

    Wer nicht fragt, ist dumm.

  • L
    Lorenz

    So schwer die Entscheidung auch ankommen mag. Der Rechtsstaatlichkeit ist Genüge getan. In unser aller Sinne.

  • W
    Wüstenratte

    Wo bleibt mein Schmerzensgeld?? Ich muß täglich Muddi I. und ihre Hofschranzen aushalten, dazu das Gesabbel von Özdemir,Roth u Co.

  • C
    Celsus

    Den Richtern ist offensichtlich nicht ganz wohl in ihrer haut, dem Mann auch noch eine Entschädigung zuzusprechen, der das Leben eines ihm vertrauenden Kindes auf dem Gewissen hat.

     

    Aber im vorliegenden Prozess geht es nun mal nicht um die Schuld des Kindsmörders. Es geht um das Unrecht, dass dadurch geschah, dass ein Folterspezialist aus dem Urlaub nach Wiesbaden zurückbeordert wurde, um intensiv einen Verdächtigen zu verhören, wie das beschönigt ausgedrückt werden könnte.

     

    Folter beginnt gekonnter Weise seit dem Mittelalter mit dem Präsentieren von Folterwerkzeugen. Auch das bereits über die psychische Ebene Folter. Der Polizeibeamte bekam eine Bewährungsstrafe von unterhalb einem Jahr und kann weiterhin seinen Beruf ausüben.

     

    Fragwürdig, dass es der größte erfolg der Folter ist, dass das Opfer nicht gerettet werden konnte und ein Mensch zu einem Geständnis per Folter gebracht wurde. Überlegenswert ist doch, dass unter Folter auch jeder Blödsinn bis hin zu teufelsbuhlschaften gestanden wurde. Für Unschuldige wäre auch heute noch lebenslang eine heftige Strafe.

     

    Was die Zahlung an den Kindsmörder betrifft: Er wird genügend Gläubiger haben, die das Geld pfänden können.

  • E
    emil

    gute entscheidung!

    ein rechtsstaat muss allen recht sprechen. auch denen die moralisch gerne ausgegrenzt werden.