Entlang der Keystone-XL-Pipeline: Öl bahnt sich immer seinen Weg
Ob der Bau der Pipeline genehmigt wird, ist unklar. Doch die Industrie arbeitet schon an Alternativen. Ölzüge werden dabei immer wichtiger.
GREAT FALLS taz | Das Öl muss raus: Noch während die US-Regierung prüft, ob sie die „Keystone XL Pipeline“ für umweltverträglich hält, prescht die Industrie mit anderen Projekten vor, um ihren Rohstoff aus der landumschlossenen Provinz Alberta auf den Weltmarkt zu bringen. Sie versucht es mit mehr Pipelines in mehr Himmelsrichtungen: Eine soll zur kanadischen Ostküste gehen, eine andere an die kanadische Westküste. Eine dritte soll ein bereits vorhandenes Rohr in die USA bis hinunter nach Louisiana verlängern.
Und sie steigt – trotz der Ölzug-Explosion mit 47 Toten Anfang Juli in Québec – um auf die Schiene. Alle Optionen haben den Vorteil, dass sie keine Genehmigung aus Washington brauchen. Die Industrie hat es eilig: Sie will ihre Produktion in den Teersanden in den nächsten Jahren verdoppeln.
Das Unternehmen TransCanada, das die Keystone XL durch sechs US-Bundesstaaten bis nach Texas bauen will, hat auch das größte Alternativprojekt vorgelegt. Wenige Tage nachdem Konzernchef Russ Girling erklärt hatte, dass eine Inbetriebnahme der Keystone XL wie geplant im Jahr 2015 „schwierig“ sei, stellte er Ende Juli die Eastern Gulf Pipeline vor.
Sie soll ausschließlich auf kanadischem Territorium verlaufen und bereits im Jahr 2015 täglich 660.000 Barrel Rohöl aus Alberta an die Ostküste bringen, wo Raffinerien für das Schweröl umgebaut würden. Die Kapazität läge nur knapp unter den 830.000 Barrel pro Tag der Keystone XL.
Die einen hoffen auf eine neue Nord-Süd-Lebensader, die jede Menge Jobs schafft. Die anderen sprechen von einer Umweltschweinerei, die die Abhängigkeit der USA vom Öl manifestiere. Sie alle fiebern der Entscheidung von US-Präsident Barack Obama entgegen, ob die Keystone-XL-Pipeline gebaut werden darf. Sie soll Teersandöl über 3.462 Kilometer aus der kanadischen Provinz Alberta bis in die Raffinerien an der texanischen Golfküste transportieren.
Für die taz-Serie fährt die US-Korrespondentin Dorothea Hahn die Strecke ab, besichtigt Produktionsstätten, spricht mit Indianern und Umweltaktivisten, begegnet enteigneten Landbesitzern und hoffnungsfrohen Bürgermeistern.
An die Westküste und dann nach China
Gleichzeitig streckt TransCanadas wichtigster Konkurrent seine Fühler in Richtung Westen und Süden aus. Enbridge will die Pipeline Northern Gateway von Alberta an die kanadische Westküste bauen. Von dort aus soll das Öl per Tanker nach Asien – insbesondere China – gehen. Zugleich arbeitet Enbridge an der Verlängerung einer bereits vorhandenen Pipeline vom US-Bundesstaat Illinois bis nach St. James in Louisiana.
Enbridge ist verantwortlich für die größte Ölpest zu Lande in der US-Geschichte: das Platzen einer Pipeline am Kalamazoo-Fluss in Michigan im Jahr 2010. Während das passierte, war die Öffentlichkeit mit einer anderen, gleichzeitigen Ölkatastrophe beschäftigt: der Explosion der Bohrplattform „Deepwater Horizon“ und das anschließende wochenlange unkontrollierte Einströmen von Rohöl in den Golf von Mexiko.
Unterdessen erklärt US-Präsident Barack Obama, dass die Keystone XL keineswegs – wie von TransCanada behauptet – 13.000 Arbeitsplätze schaffe. Sondern in der Bauphase allenfalls 2.000 Jobs. Und langfristig nur zwischen 50 und 100. In einer Volkswirtschaft mit 150 Millionen Beschäftigten sei das „Kleinkram“, sagt der Präsident.
Öltransport auf der Schiene verfünfundzwanzigfacht
Während die Pipelinegegner politisch an Terrain gewinnen, rattern täglich mehr ölbeladene Züge über das Schienennetz. Seit 2008 hat sich die Zahl der Öltransporte auf der Schiene in den USA nach Informationen der Association of American Railroads verfünfundzwanzigfacht. Züge transportieren Schweröl aus Alberta. Und Züge transportieren 70 Prozent des Öls, das in Nord-Dakota gewonnen wird.
Ölzüge sind zwar teurer als Pipelines. Aber sie sind flexibler. Sie können sowohl zu Raffinerien als auch zu Häfen fahren. Sie transportieren das Öl durch dicht besiedelte Ballungsgebiete. Und sie benötigen keine politische Genehmigung.
In Alberta und im Mittleren Westen sind bereits neue Bahnhöfe für Ölzüge im Bau. Am Pazifik baut die Stadt Vancouver im Bundesstaat Washington ihren Hafen für vier Ölzüge pro Tag aus. Auf der anderen Seite der USA will Yorktown in Virginia noch dieses Jahr ein Terminal im Hafen eröffnen, das täglich zwei Züge empfängt. Während viele Teilstücke für die Keystone XL auf Lager liegen, boomen die Hersteller der Tankzüge. Sie haben Aufträge für mehr als zwei Jahre.
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