Enthüllungsskandal im Vatikan: Der Rabe und der Heilige Geist
Dem Kammerdiener des Papstes drohen sechs Jahre Haft. Er soll interne Papiere an die Medien weitergegeben haben. Aber es gibt noch mehr undichte Stellen im Vatikan.
BERLIN taz | Der „Rabe“ hat gesungen. Hässlich, ein Krächzen eher. Aber immerhin ist nun etwas mehr Licht in den Enthüllungsskandal gekommen, der seit Monaten unter dem Namen „Vatileaks“ den Vatikan und Teile der Weltpresse in Atem hielt: Paolo Gabriele, der Kammerdiener von Papst Benedikt XVI., soll Interna aus dem Vatikan ausgeplaudert haben.
Am Montag wurde in Rom nun die Anklageschrift veröffentlicht. Wegen schweren Diebstahls drohen dem Maulwurf im Kirchenstaat, in Italien traditionell eher „Rabe“ genannt, bis zu sechs Jahren Haft. Frühestens im November wird der Prozess gegen ihn im Vatikan eröffnet.
In die Medien waren in den vergangenen Monaten Dutzende persönliche Dokumente des Papstes gesickert, inoffizielle Briefe und private Notizen. Ein zweiter, in der italienische Presse zitierter „Rabe“ drohte, es gebe Hunderte weitere Papiere. Angedeutet wurden Korruption unter den Kardinälen, Machtkämpfe und Intrigen, dazu kommen Geldwäsche, homosexuelle Affären, Fälle von Kindesmissbrauch. Thesen über die Hintergründe gibt es genug.
Der deutsche Papst Joseph Ratzinger flüchtete sich im Juni, offenbar ernsthaft verzweifelt, in eine Medienschelte, sprach von einer „Kultur der Lüge, die sich als Wahrheit und Information präsentiert“. Dabei reißen die bisher veröffentlichten Papiere inhaltlich eigentlich niemanden vom Hocker.
Ein bisschen Mauschelei, ein wenig Klatsch, viel Spekulation. Ein Insider meint: Neu sei für ihn gewesen, dass die Enthüllungen bewiesen, wie sehr der Papst selbst Untersuchungen im Vatikan anstelle, sich Akten vorlegen lasse und den Laden in Ordnung bringen wolle.
Zerstörtes Vertrauen
Was bisher an die Öffentlichkeit gedrungen ist, hat keine Richtung, es ist „dies und das“, wie es in Rom heißt – aber niemand ist bei alldem eindeutig der Böse, niemand der Gute. Das spricht eher gegen eine gezielte Verschwörung. Allerdings stammt das Material aus der engsten Umgebung des Papstes. Das sei „tragisch“ für den alten Mann auf dem Thron Petri, zerstöre es doch das Vertrauen, das man in einer solchen Position wenigstens zu dem kleinen Kreis um einen herum haben solle.
Klar ist: Nach den ersten Ermittlungen wurde Gabriele im Mai verhaftet. Bei einer Hausdurchsuchung fand man bei ihm vertrauliche Dokumente, eine wertvolle, jahrhundertealte Vergil-Ausgabe, einen Goldklumpen und eine Spende an den Papst in Scheckform. Die Summe: 100.000 Euro. Seltsamerweise schloss Papstsprecher Federico Lombardi aus, dass Gabriele sich habe bereichern wollen. Bei den Verhören gab er an, er habe der Kirche eigentlich mit den Enthüllungen dienen wollen.
Gabriele sah sich demnach als „Verbindungsmann des Heiligen Geistes“, gegen das „Böse und die Korruption“, die „überall“ seien, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa. Er sei sicher gewesen, dass ein Schock auch über die Medien heilsam sein könnte, um die Kirche wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Radio Vatikan meldete, ein psychiatrisches Gutachten sei zu dem Ergebnis gekommen, dass Gabriele seelische Probleme habe.
Ein im Vatikan angestellter Informatiker, ein Freund Gabrieles, wurde im Rahmen der Ermittlungen ebenfalls verhaftet, aber nach einer Nacht in Haft schon wieder entlassen – sein Vergehen gilt als vernachlässigbar. Wie er heißt und was er angestellt hat, ist noch nicht öffentlich.
Weitere Enthüllungen
Wahrscheinlich ist, dass die Affäre trotz der Anklage-Erhebung gegen Paolo Gabriele und seinen Freund weitergehen wird. Denn vertrauliche Dokumente drangen auch nach dessen Verhaftung weiter an die Öffentlichkeit. Der zweite Rabe dürfte also weiterkrähen.
Weitere Enthüllungen sind bereits angekündigt. Voraussichtlich am 11. September wird ein Buch des Vatikan-Enthüllungsjournalisten Gianluigi Nuzzi auf Deutsch erscheinen. Das italienische Original ist seit Mai erhältlich. In der deutschen Version soll es zusätzliche Dokumente geben, die zumindest für die deutsche Kirche interessant sein dürften. Möglich, dass die Gruppe, die Nuzzi füttert und sich „Maria“ nennen soll, Weiteres ausplaudert.
Zudem gibt es den zweiten, internen Untersuchungsbericht zum Fall Gabriele. Ihn haben Kardinäle nur für den Papst erstellt. So, wie es bisher lief, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch Einzelheiten daraus öffentlich werden – wieder ein Rabe krächzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs