Enthüllte US-Depeschen zu Honduras: USA unterstützten Wahlfarce
2009 entkräftete der US-Botschafter in Honduras Argumente für den Militärstreich. Dennoch nahm Washington die Wahlfarce hin.
PORTO ALEGRE taz | In Lateinamerika, so lassen die bisher durch Wikileaks bekannt gemachten US-Depeschen vermuten, muss die Geschichte der internationalen Beziehungen nicht neu geschrieben werden.
Klatsch über das "regierende Paar" Kirchner in Argentinien, Einzelheiten über den direkten Zugang kubanischer Geheimdienstler zu Venezuelas Präsident Hugo Chávez, das brasilianische Misstrauen gegenüber dem US-Vorposten Kolumbien – die Fleißarbeit der Diplomaten belegt vor allem eines: den langsam schwindenden Einfluss Washingtons auf den Subkontinent.
In Mittelamerika ist dieser Prozess am wenigsten weit gediehen. Ein möglicher "Linksruck" in Honduras wurde letztes Jahr brutal gestoppt. Peinlich sind für US-Außenministerin Hillary Clinton folgende Enthüllungen:
"Die Militärs, der Oberste Gerichtshof und der Nationalkongress haben sich am 28. Juni zu einem illegalen und verfassungswidrigen Staatsstreich gegen die Exekutive verschworen", berichtete US-Botschafter Hugo Llorens nach dem Putsch aus Tegucigalpa an seine Vorgesetzten. Die von den Umsturzapologeten angeführten Argumente seien zweideutig, "ohne substanzielle Gültigkeit und in manchen Fällen offen falsch", fügte er hinzu.
Dennoch sorgten die USA mit dafür, dass das Konzept der Putschisten aufging und Monate später in einer Wahlfarce mit Porfirio Lobo ein genehmer Vertreter der Oberschicht zum Präsidenten gekürt wurde. Sein gestürzter Vorgänger Manuel Zelaya will nun den Internationalen Strafgerichtshof anrufen.
Wichtigster Gegenspieler Washingtons ist die ambitionierte Regionalmacht Brasilien, die im Fall Honduras noch den Kürzeren gezogen hatte – das wochenlange Asyl Zelayas in der brasilianischen Botschaft blieb folgenlos. Besonders stört die USA die "anti-nordamerikanische Neigung" des brasilianischen Außenministers.
Demgegenüber wird der alte und neue Verteidigungsminister Nelson Jobim vom damaligen US-Botschafter Clifford Sobel als vertrauenswürdig und kooperationsbereit geschildert. So habe Jobim auch über einen Nasenhöhlentumor des bolivianischen Staatschefs Evo Morales berichtet, der im Februar 2009 entfernt worden sei.
Dass die USA das Dreiländereck Brasilien-Argentinien-Paraguay, wo viele Menschen arabischer Herkunft leben, im Gegensatz zu Brasilien als "Terroristennest" sehen, ist bekannt. Dennoch sei eine pragmatische Zusammenarbeit der Behörden möglich, lobte Botschafter Sobel: "Die (brasilianische) Bundespolizei nimmt oft Individuen mit Terrorismusverbindungen fest, doch sie klagt sie diverser Verbrechen an, die nichts mit Terrorismus zu tun haben, um nicht die Aufmerksamkeit der Presse oder hoher Regierungskreise zu erwecken."
Aus Rücksicht auf die arabische Community in Brasilien gehe die Regierung Lula diskret vor. Irritiert zeigen sich die US-Diplomaten jedoch über die Weigerung der Brasilianer, "Terrorismus" gesetzlich zu definieren. Stein des Anstoßes ist zudem immer wieder deren als "zu lasch" kritisierte Haltung gegenüber der Möchtegern-Atommacht Iran.
Brasilien halte an seiner Politik fest, mit allen gut Freund sein zu wollen, schreibt Sobel leicht frustriert im Anschluss an eine weitere Unterredung mit Jobim, in der sich der Verteidigungsminister gegen eine Isolierung von Hugo Chávez ausgesprochen hatte. Es sei sinnvoller, Venezuela in einen südamerikanischen Verteidigungsrat einzubinden, beschied Jobim dem Botschafter – inzwischen ist es soweit.
Gespannt darf man darauf sein, wie die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner auf die rege Korrespondenz zwischen dem US-Außenamt und der Botschaft in Buenos Aires reagieren wird.
Vor einem knappen Jahr zeigte sich Hillary Clinton besorgt über den Geisteszustand der als "dünnhäutig" geschilderten Staatschefin und ließ einen ganzen Fragenkatalog ausarbeiten: "Nimmt sie Medikamente? Unter welchen Umständen kann sie am besten mit Stress umgehen? Wie beeinflussen ihre Emotionen ihre Entscheidungen?" Zuvor hatte ihr die Botschaft "außenpolitische Unfähigkeit" bescheinigt – Cristina Fernández hatte sich für die Rückkehr Manuel Zelayas nach Honduras eingesetzt.
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