■ Entgegnung auf die Prozeßerklärung von Birgit Hogefeld: Legendenbildung
Sie lächelt viel. Schon beim ersten Hereinkommen in den Frankfurter Gerichtssaal lächelte Birgit Hogefeld so stolzgeschwellt, als sei der Krieg der RAF um die Köpfe durch Bad Kleinen schon so gut wie gewonnen. Morgens vor Prozeßbeginn hatte sie einem Fernsehteam erklären dürfen, sie wisse schon, wie das Verfahren ausgeht. Bei der RAF weiß man so etwas. Man wird immer zu „lebenslänglich“ verurteilt, obgleich man doch unschuldig ist. RAF-Mitglieder sind das immer. Sie haben sich stets angemaßt, zu definieren, was Mord ist und was eine revolutionäre Tat. Birgit Hogefeld hat an den beiden ersten Prozeßtagen oft den Blick der Journalisten gesucht. Als wollte sie sich in deren Anerkennung spiegeln. Auch manchen Journalisten ging es so, man suchte in ihrem fast amüsierten, offenen, unfanatisierten Blick nach leisem Zweifel. Zweifel am absurden, anachronistisch Lächerlichen des RAF-Prozeßrituals: Besetzungsrüge, Befangenheitsantrag, Prozeßerklärung und Antrag auf Unterbrechung, weil ihr schlecht sei von der Autofahrt, bei der die Hände mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt waren. Sie kicherte dazu wie ein Kind, auch ein bißchen mit Stargefühl. Soviel Bedeutung, soviel Aufmerksamkeit um ihre Person war nie.
Sie bekam ihre Stunde Pause, der „Repressionsapparat“ stimmte zu, obwohl jeder im Saal wußte, daß die Übelkeit gelogen war. Dann die Prozeßerklärungen, die zweite war in der taz abgedruckt. Sie spielt auf der Klaviatur der kollektiven linken Erinnerungen, erheischt Mitgefühl. Sie schreibt vom „toten Trakt“, in dem sie saß. In Bielefeld war die Zelle rechts neben ihr mit einer Gefangenen belegt, links befand sich die Dusche. Die Zelle vis à vis war belegt. Wie der gesamte Flur. Tatsächlich war Birgit Hogefeld mit einem Kontaktverbot belegt. Aber sie sei niemals isoliert worden, einen toten Trakt habe es nicht gegeben, beteuern unabhängig voneinander der Anstaltsleiter, der Pfarrer, das Medienbüro der Gefangenen im Bielefelder Knast, die Bundesanwaltschaft im Prozeß.
Birgit Hogefeld schreibt von Folter, zitiert Jean Améry und Auschwitz. Sie spricht sogar von der „Methode Isolationshaft“ und zitiert einen Genossen von den Tupamaros, der während der Verhandlung festgestellt haben will, daß sie den Blick nicht halten könne. Dankbar nimmt sie das auf. Wahrscheinlich empfindet sie sich selbst so, fühlt sich unter der Folter, denn es ermöglicht ihr die Rolle des heldenhaften Opfers. Doch Birgit Hogefeld ist nicht inhaftiert, weil sie einer bestimmten Rasse angehörte oder als politische Gegnerin verfolgt worden wäre: Sie steht vor Gericht wegen mehrfachen Mordverdachts, unter anderem an dem US-Soldaten Pimental. Sie sitzt nicht als Opfer von Verfolgung in Haft, sondern als potentielle Täterin.
Birgit Hogefeld war nach ihrer Festnahme in Bad Kleinen sechs Monate in Einzelhaft mit Kontaktsperre zu Mitgefangenen, wie es übrigens auch bei anderen organisierten Kriminellen praktiziert wird. Hofgang alleine, keine Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen. Dafür Fernseher und doppeltes Besuchskontingent, statt zweimal eine halbe, zweimal eine ganze Stunde Besuch pro Monat, unbeschränkte Verteidigerbesuche. Nach dem Jahreswechsel 1993/94 Gemeinschaftsveranstaltungen und gemeinsamer Hofgang, ein beantragtes Keyboard wird aus Sicherheitsgründen nicht genehmigt, aber die daraufhin beantragte Querflöte. Fernseher, CD-Player, bis zu vier Tageszeitungen, bis zur vier Wochenzeitschriften, Bücher, unbeschränkte Korrespondenz, kontrolliert, wie bei jedem anderen Gefangenen. Birgit Hogefeld saß zu keinem Zeitpunkt in einem toten Trakt, weil es in der JVA Bielefeld, Frauenhaus, keinen solchen gab. Das Haus war sogar um fünf Prozent überbelegt. Seit ihrer Verlegung nach Preungesheim im September lebt sie wie alle anderen Gefangenen auch.
Natürlich ist Einzelhaft schmerzlich, das ist sie immer. Aber Isolationsfolter? Astrid Proll und andere erlebten Anfang der siebziger Jahre Isolationshaft in toten, unbewohnten Trakten. Das war vor 20 Jahren. Birgit Hogefeld versucht Nähe zu diesen RAF-Mitgliedern der ersten Stunde herzustellen, indem sie sich mit deren Haftsituation identifiziert, sich in deren Lebensgefühl hineinphantasiert. Wieder stimmt das Bild nicht. Die Einzelhaft, die Besuche hinter Trennscheiben, all das hat auch mit den Praktiken der RAF im Knast, gewissermaßen in den kollektiven Erinnerungen von Justiz und Strafvollzugsbehörden zu tun. Aber es hat schon immer zum guten Ton der RAF gehört, Gegenreaktionen des Staates niemals mit den eigenen Aktionen in einen Kausalzusammenhang zu bringen. Der Revolutionär der RAF schießt und beschwert sich, wenn zurückgeschossen wird.
Das Image muß stimmen, und darum geht es für sie vor allem anderen im Prozeß. Die Heldin, das gefolterte Opfer die personifizierte Unschuld, denkt öffentlich über die Zukunft der RAF nach, ohne auch nur eine Silbe über die von der RAF zu verantwortenden Todesopfer zu verlieren. Ihre Verteidiger, aber auch andere propagandistische Helfer in den Medien teilen diese Verleugnungsstrategie. Es geht um den Solidarisierungseffekt. Isolationshaft, Folter, ja selbst Auschwitz. Auch den Begriff der „extralegalen Hinrichtung“. Die Verteidigerin führt ihn zum Tod von Wolfgang Grams ein. Das ist geschickt, denn der Tod von Grams ist in der Tat nicht aufgeklärt. Die Semantik der Menschenrechtsorganisationen ist der Honig, der die jungen Sympathisanten lockt und an dem sie klebenbleiben. Dabei ist der Begriff der extralegalen Hinrichtung ein Terminus aus Folterregimen Südamerikas. Deutschland ist nicht Chile und nicht Argentinien. Im Prozeß dient der Begriff dem Zweck, die roten Lämpchen moralisch leicht empörbarer guter Menschen reflexhaft zum Glühen zu bringen. Extralegale Hinrichtung = Terrorregime = legitimer Widerstand = RAF. Alles, was dieser eingebildeten Wirklichkeit widerspricht, nennt die RAF „Counter-Insurgency“ – seit 20 Jahren.
Die RAF, zu der sich Birgit Hogefeld öffentlich bekannt hat, braucht Sympathisanten. Fast könnte man sagen, daß die kleine Schar der Anhänger die noch existierende Referenzgruppe für die RAF ist. Zehn für zweihundert. Die revolutionären Massen sind auch nach 20 Jahren zum Termin nicht erschienen. Den Krieg um die Köpfe der Linken hat die RAF erstmals 1977 mit Schleyer verloren, damals schwand die sympathisierende, linksliberale Basis dahin. Endgültig nur noch Entsetzen löste selbst in der Szene der Genickschuß auf Pimental aus, vor allem weil die RAF anschließend kaltschnäuzig erklärte, man habe eben dessen Ausweis gebraucht. Nur: Die Morde an Schleyer, Ponto, Buback und schließlich an dem US-Soldaten waren tatsächlich Hinrichtungen, extralegale Hinrichtungen genaugenommen. Die RAF-Kommandos haben viel gemeinsam mit den südamerikanischen Todesschwadronen. Auch die RAF gewährte ihren Opfern keine Menschenrechte.
Hogefelds erste Prozeßerklärung begann mit dem Satz: „Während ich hier sitze, laufen die Mörder von Wolfgang Grams noch frei herum...“ Das ist möglich, und es ist unerträglich. Der Tod von Grams muß aufgeklärt werden. Genauso wie der Tod von Hanns- Martin Schleyer oder des GSG-9- Beamten Newrzella. Die Veränderung der Sprache in den neueren RAF-Erklärungen, der vorübergehende „Waffenstillstand“, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es auf seiten der RAF keine Entwaffnung, mithin keine Entmilitarisierung gegeben hat. Nur die Sprache, der Ton hat sich verändert, mit dem RAF-Stammel-Stakkato von gestern ist keine Basis von heute mehr zu gewinnen.
Fast erschreckend intensiv hat sich Birgit Hogefeld in ihrer veröffentlichten Erklärung in die Rolle des heldenhaften Opfers hineingeträumt. Dazu braucht man viel Größenphantasie und viel Verdrängungs- und Verleugnungsvermögen. Kein Satz dazu, warum sie eine Waffe trug. Ihre Erklärung weist sie als eine Frau aus, die sich in Worten dicht ausdrücken kann. Nur handelt es sich um die Erfahrungen jedes Menschen, der zum erstenmal im Leben in Einzelhaft eingesperrt ist.
Es sind meist eher schwache Persönlichkeiten, die sich der RAF anschließen, um sich über die konspirative Enge der Gruppe und die Waffe Bedeutung und Gefährlichkeit, Größe, zu verleihen. Es muß ein fehlendes Selbstwertgefühl, ein Gefühl völliger Bedeutungslosigkeit und zugleich der insgeheim übermächtige Wunsch sein, das eigene, grandios narzißtisch besetzte Ich-Ideal, gepaart mit starkem moralischen Empfinden, auszuagieren, was in die RAF treibt. Dieser Wunsch nach heldenhafter Größe siegt über die Wahrnehmung von auch politischer Realität. Vielleicht muß deshalb auch stets der Prozeß als Heldenepos inszeniert werden, denn da ist immer die Angst vor dem Zurückrutschen in die völlige Bedeutungslosigkeit. Der Tag nach der Urteilsverkündung ist der Tag der Wahrheit. Auch Birgit Hogefeld wird davor Angst haben. Dabei zeigen die Beispiele aller RAF-Aussteiger, daß die Rückkehr in die Realität, das Erwachen, zu überleben ist. Edith Kohn
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