piwik no script img

Entführte Kolumbianerin Betancourt"Leben wie die Toten"

Ein Lebenszeichen der entführten ehemaligen kolumbianischen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt nährt neue Hoffnungen.

Erleichtert über das Lebenszeichen: Ingrid Betancourts Ehemann Juan Carlos Lecompte

"Wir leben wie die Toten," schreibt Ingrid Betancourt an ihre Mutter. "Mir geht es gesundheitlich schlecht, ich habe keinen Appetit, und die Haare fallen mir in großer Menge aus." Videobilder unterstreichen, was die 45-Jährige mitteilt: eine abgemagerte und erschöpfte Frau. "Mein Wäschebeutel und die Bibel sind mein einziger Luxus." Und jeden Moment kann der Befehl kommen, alles einzupacken und im nächsten Loch zu schlafen, schreibt sie.

Nach dem Lebenszeichen der in Kolumbien verschleppten ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Betancourt haben ihre Angehörigen neue Bemühungen um ihre Befreiung gefordert. Die Videoaufnahmen der von Farc-Rebellen verschleppten Politikerin waren am Donnerstag aufgetaucht. Die kolumbianische Regierung hatte Bänder gezeigt, auf denen die am 23. Februar 2002 entführte Betancourt zu sehen ist. Nach ihren Angaben wurden die Bänder bei der Festnahme von Rebellen sichergestellt und stammen von Ende Oktober. Dabei wurde auch der auf den 24. Oktober datierte Brief Betancourts gefunden.

Yolanda Pulecio, die Mutter Betancourts, kritisierte jedoch die Veröffentlichung des Briefs durch die kolumbianischen Behörden. "Es war ein intimer Brief für uns, für die Familie. Wir überlegen uns juristischen Schritte", so Pulecio gegenüber dem Radiosender Caracol in Caracas. Sie war Samstag in die venezolanische Hauptstadt gereist, um sich mit Präsident Hugo Chávez zu treffen. Allerdings hatten andere Familienangehörigen in Paris am Samstag ebenfalls Teile des Briefs veröffentlicht. Betancourt hat auch die französische Staatsbürgerschaft.

In einer ersten Reaktion zeigten sich die Angehörigen von Betancourt erleichtert über das Lebenszeichen. Gleichzeitig forderten sie den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy auf, darauf zu drängen, dass Chávez seine Vermittlerrolle wieder aufnimmt, um sich schnellstmöglich mit dem Kommandanten der Farc, Manuel Marulanda, zu treffen. Für sie sind die Videobänder ein Beweis für die Fortschritte hin zum einem Gefangenenaustausch zwischen Guerilla und Regierung durch die Initiative des venezolanischen Präsidenten.

Der kolumbianische Präsident Álvaro Uribe hatte Chávez vergangenen Woche das Mandat eine Vermittlungsmission mit der kolumbianischen Farc-Guerilla zu entzogen. Dies hatte zwischen beiden Ländern eine diplomatische Krise ausgelöst. In der kolumbianischen Presse wird darüber spekuliert, es könnte sich bei den Aufnahmen um das von Chávez gewünschte Lebenszeichen handeln, dass dieser bei seinem kürzlichen Besuch in Paris dem französischen Präsident Sarkozy übergeben wollte. Wegen Unwägbarkeiten sei es Chávez aber nicht rechtzeitig überreicht worden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!