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Ente gut, alles gut Von Ralf Sotscheck

Da war es wieder, das alte DDR- Feeling – allerdings sieben Jahre später und tausend Kilometer westlich. Eigentlich wollte ich essen gehen, aber in Belfast schließen die Restaurants wochentags ziemlich früh. So blieb der „Dragon Palace“, ein chinesisches Lokal neben der Universität. Der Drachenpalast ist aus unerklärlichen Gründen vom Fremdenverkehrsamt empfohlen.

Wer der Drachen war, wurde dagegen schnell klar: Der Besitzer hatte grottenschlechte Laune. „Da hinsetzen“, schnauzte er mich wie einen Hund an und zeigte zum Tisch neben der Kasse am Eingang. Im Vorbeigehen schleuderte er die Speisekarte wie ein Frisbee auf den Tisch, stand aber eine Minute darauf mit gezücktem Block neben mir. Ich erbat ein paar Zusatzinformationen zu den Entengerichten. „Ente, Ente, Ente, Ente“, schrie der unhöfliche Mensch, während sich sein Zeigefinger durch die Entenrubrik auf meiner Speisekarte bohrte. „Alles Ente!“ Ich könne lesen, wandte ich mutig ein, aber sei die Kung-Po- Ente zum Beispiel scharf oder die Drachenente knusprig? „Knusprig“, heulte der Schrecken aller Spätesser auf und ließ die anderen Gäste an meiner offenbar völlig unsinnigen Frage teilhaben. „Wie kann sie denn knusprig sein, wenn sie in einer Sauce gekocht ist?“ Mit diesen Worten verschwand er vorerst und schickte statt dessen seinen kleinen, dünnen, chinesischen Untergebenen Henry zu mir. Ich erkannte gleich, wer Henrys Lehrherr gewesen war: „Reis“, bellte er, als ich irgendeine Ente bestellt hatte. Und das war ein Befehl.

Als die Suppe kam, stellte sich der übellaunige Besitzer hinter die Kasse und beobachtete mich durch die Plastikgrünpflanzen, die er etwas zur Seite geschoben hatte. Ich begann hastig zu essen und bekam einen Schluckauf, weil die Suppe höllisch scharf war. Der Blick, der mir durch die Grünpflanzen zugeworfen wurde, vertrieb den Schluckauf aber gleich wieder.

Den Gästen am Nachbartisch ging es freilich nicht besser. Henry hatte sie gerade in der Mangel. „Sie haben doch schon Suppe bestellt“, sagte er, als sie vier Frühlingsrollen orderten. „Ist das denn immer noch nicht genug?“ Unterdessen warf der Chef ein junges Pärchen aus dem Laden, weil es das Take-away mit einem Scheck zahlen wollte. „Unter zehn Pfund nicht“, rief er ihnen nach, „das lohnt den Gang zur Bank nicht.“ Die anderen beiden, die die Mindestanforderungen an Gäste erfüllt hatten, mußten auf der Treppe zu den Toiletten auf ihre eingetüteten Essensnäpfe warten.

Jetzt knöpfte sich Henry wieder mich vor: „Ente gut.“ Wer würde es wagen, ihm zu widersprechen? Dann lehnte er sich quer über den Tisch, tippte auf das Tier und behauptete: „Sehr mager.“ Mein Angebot, sich das Stück Geflügel zu nehmen, das er gerade angetatscht hatte, lehnte er jedoch ab. Ich zahlte schnell und wollte gehen, doch meine schlimmsten Befürchtungen wurden wahr: Die Tür war abgeschlossen. Um den freiheitsberaubenden Griesgram milde zu stimmen, nahm ich mir demonstrativ die Take-away-Speisekarte und steckte sie ein. Da lachte der gehässige Griesgram, als ob er mein Spiel durchschaut hatte. Es war dasselbe Lachen wie damals im Prenzlauer Eck in der Hauptstadt der DDR, als ich anmerkte, daß man unsere Bestellung anderthalb Stunden verschleppt hätte.

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