Ensorgungsystem für Hausabfälle wackelt: Die Rosinen im Müll
Müll ist ein Geschäft, immer mehr private Firmen steigen ein. Sie wollen das "antiquierte Monopol" knacken. Der Kampf um die Tonne wird für Kommunen schwieriger - und für Bürger teuer.
Es klingt wie eine Servicemeldung aus dem Lokalteil: Seit dem 1. Juli stellen die Abfallbetriebe Kiel (ABK) die Blaue Tonne für Altpapier kostenlos zur Verfügung, nachdem sie für die vierwöchentliche Leerung bis dahin 81 Cent berechnet hatten. Doch dahinter verbirgt sich eine Entwicklung, die die Entsorgungslandschaft in Deutschland durcheinanderwirbeln könnte. Denn die Müllgebührensenkung ist nur ein Beispiel dafür, wie Kommunen versuchen, die Bevölkerung im Kampf gegen private Entsorgungsfirmen auf ihre Seite zu ziehen.
Anlass für die Maßnahme in Kiel ist ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein vom April. Die Richter entschieden, dass Privathaushalte eine Firma mit der Verwertung ihres Abfalls beauftragen - und sich von der kommunalen Entsorgung samt Gebühren abkoppeln - dürfen. Im konkreten Fall hatte die Rohstoffhandel Kiel GmbH, eine Tochter des weltweit zweitgrößten Entsorgungsunternehmens Veolia Environment, Wohnungsbaugesellschaften und Privatleuten angeboten, ihnen das Altpapier abzunehmen. Dafür sollten diese ihren alten Entsorgungsvertrag mit den ABK kündigen. Die Stadt Kiel erwirkte zunächst eine Unterlassungsverfügung, die das Oberverwaltungsgericht aber kippte.
Das ist brisant, da die Richter gegen die vorherrschende Rechtauffassung entschieden. Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz verpflichtet Privathaushalte, ihren Restmüll den öffentlich-rechtlichen Entsorgern zu überlassen, sofern sie ihn nicht selbst verwerten. Als Selbstverwertung galt bislang vor allem der Komposthaufen im Garten. Das Oberverwaltungsgericht geht nun davon aus, dass jeder Abfall in Eigenregie entsorgt werden kann.
Das Urteil schreckt die Kommunen auf. Sie sind schließlich dafür verantwortlich, dass alle Haushaltsabfälle verwertet oder entsorgt werden. Und zwar flächendeckend. "Es kann doch nicht zugelassen werden, dass sich private Entsorger nun teilweise unter Einsatz drastischer Methoden die Rosinen rauspicken", meint Karin Opphard, Chefin des kommunalen Entsorgerverbands VKS im Verband kommunaler Unternehmen.
Für Altpapier zahlen die Verwerter den Entsorgern derzeit zum Beispiel rund 100 Euro pro 1.000 Kilo. Privatfirmen können Hausverwaltungen und Wohnungsbaugesellschaften deshalb eine bis zu 20-prozentige Ersparnis bei den Betriebskosten versprechen, wenn sie von den Kommunen zu ihnen wechseln.
Die kommunalen Betriebe dagegen brauchen die Einnahmen aus dem Verkauf der Sekundärrohstoffe nicht nur, um die Müllgebühren zu senken, sondern auch um die gesamte Entsorgung zu bezahlen. "Wenn Haushalte aussteigen und ihren interessanten Müll zum besten Angebot abgeben, können sie zwar selbst sparen", sagt der Berliner Rechtsanwalt Frank Wenzel, dessen Kanzlei kommunale Unternehmen vertritt. "Für alle anderen aber wird es teurer." Denn die Kommunen müssen die Infrastruktur weiter vorhalten - auch für den Fall, dass die Privaten sich wieder zurückziehen, wenn sich das Geschäft nicht mehr lohnt. Wenzel: "Damit wackelt das ganze System."
Der Bundesverband Deutscher Entsorger, in dem die privaten Firmen organisiert sind, sieht indes die Chance, die "antiquierte Monopolsituation endlich aufzubrechen", und betont "das Grundrecht auf Gewerbefreiheit". Der Markt für Hausmüll ist interessant - es geht um zweistellige Milliardenbeträge.
Die Experten im Bundesumweltministerium sind beunruhigt. "Dass mit einer Privatentsorgung des Restmülls erhebliche Gesundheits- und Umweltprobleme drohen, liegt auf der Hand", so Sprecherin Frauke Stamer. Das Ministerium wolle den "Kernbereich der kommunalen Daseinsvorsorge wirksam schützen", wenn es spätestens 2010 das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz novelliert. Darin solle "klargestellt werden, dass gemischter Abfall aus privaten Haushaltungen in jedem Fall der Kommune zu überlassen ist."
Jurist Wenzel fürchtet, dass die privaten Entsorger zuvor einen "Generalangriff starten". Der Leiter der Abfallbetriebe Kiel, Enno Petras, ist ohnehin skeptisch und sagt: "Wenn die Festschreibung erst in der Gesetzesnovelle bis zum Jahr 2010 passiert, könnte es für manche Kommune schon zu spät sein." Kiel setzt darum neben der Null-Cent-Papiertonne auf den Rechtsweg und hat gegen das OVG-Urteil Revision eingelegt. Nun muss das Bundesverwaltungsgericht entscheiden.
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