Engpass im Hambacher Forst: Gehen RWE die Hebebühnen aus?
Mindestens drei Hebebühnen-Firmen haben empört ihr Gerät aus dem Hambacher Wald abgezogen – mit erstaunlichen Begründungen.
Die Begründungen der Firmen bargen jeweils einigen Diskussionsstoff. So schrieb die Firma Gerken aus Düsseldorf an die „Lieben Kunden und besorgten Mitbürger“, sie sei erst von diesen über den Einsatz ihres Fuhrparks im Hambacher Forst informiert worden. Der Mieter – „nicht die Polizei“ – habe im Vorfeld kein Wort darüber verloren, „wofür er die Arbeitsbühnen einsetzen wird“.
Man sei „mit der Vorgehensweise im Hambacher Forst absolut nicht einverstanden“ und habe deshalb beschlossen, „dass wir unsere Geräte dort stilllegen. Wir machen das, obwohl wir es rein rechtlich nicht dürfen, und setzen uns damit womöglich hohen Schadenersatzforderungen unseres Kunden aus.“ Eine Gerken-Hebebühne war Minuten vor dem Todessturz gleich daneben noch in der Baumhaussiedlung Beechtown im Einsatz.
Wer war statt der Polizei der klandestine Auftraggeber? Naheliegend: RWE selbst. Auch die Gemeinden Kerpen und Düren oder die Feuerwehren kämen infrage. Nach Auskunft einer Sprecherin der Stadt Kerpen in der Aachener Zeitung ist die RWE Power AG die Auftraggeberin für die Großgerätemiete, mit denen BaumbewohnerInnen seit Beginn der Räumung aus ihren Häusern geholt werden sollen. Nachfrage bei RWE: Deren Sprecher Guido Steffen sagt am Freitagmorgen telefonisch einen schnellen Rückruf zu, lässt aber dann Fragen per Mail unbeantwortet, etwa ob der Konzern bereits Ersatz habe. Auch die, ob „alle Kunden immer und vollständig“ informiert werden, wenn es in den Hambacher Wald gehe.
Gehen dem Kohleriesen die Arbeitsbühnen aus?
Ob dem Kohleriesen jetzt die Arbeitsbühnen ausgehen? Gleichzeitig mit Gerken ging nämlich auch die Hagener Firma Cramer von der Fahne. „Am 18.9.18 wurden wir nachmittags telefonisch und per Email darauf aufmerksam gemacht, dass eine unserer LKW-Arbeitsbühnen im Hambacher Forst im Einsatz ist“, heißt es in einer Stellungnahme der Firma. Von diesem Einsatz „hatten wir vor diesen Hinweisen keine Kenntnis“, betonen die Hagener.
Im Hambacher Forst demonstierten am Samstag erneut mehrere Tausend Menschen. Für die taz ist wieder Anett Selle vor Ort. Sie berichtet auf Twitter auch per Live-Videos.
„Niemals“ hätte man wissentlich Bühnen dafür bereitgestellt. Den Hubwagen habe man „im Rahmen eines kollegialen Hilfeersuchens an einen anderen Arbeitsbühnenvermieter vermietet“. Nach dessen Auskunft sollte „unsere Bühne für Arbeiten im Mobilfunk-Bereich im Raum Düsseldorf eingesetzt werden“. Folge: „Die weitere Verwendung des Fahrzeugs im Hambacher Forst haben wir untersagt.“
Grausige Aktualität bekam noch dieser Satz: „Wir hoffen, dass durch den von uns nicht autorisierten Einsatz kein Mensch, egal zu welcher beteiligten Gruppe er gehört, zu Schaden gekommen ist.“ Ein Mitarbeiter der Cramer-Geschäftsführung, der seinen Namen hier nicht lesen möchte, ist „sehr erleichtert“ über die Information, dass seine Bühne nicht direkt im Unglücksbereich Beechtown eingesetzt war.
Das habe man bis dahin noch nicht sicher gewusst. Die orangene Cramer-Bühne, das Firmenlogo zur Tarnung überklebt, stand zu dieser Zeit still nebenan in Baumhausdorf Cosytown. Nach der Rückzugsmeldung hätten „viele Aktivisten angerufen und sich bedankt“, sagt er noch.
Weniger Arbeitsgerät – langsamere Räumung – späterer Rodungsbeginn, wenn überhaupt. Schon vor einer Woche war, wie jetzt erst bekannt wurde, die Firma Hundrup Arbeitsbühnen-Vermietung aus Waltrop ausgestiegen: „Am Montag wurde die Arbeitsbühne aus Kerpen abgeholt. Vorher war es uns leider nicht möglich, den Einsatz zu unterbinden“, heißt es in einer Mitteilung.
Hilfsleihen für Dritte sind durchaus üblich
Die Mietbranche mit Großgeräten ist offenbar mäßig seriös: falsche oder fehlende Angaben über den Einsatzort sind offenbar nicht ungewöhnlich. Hilfsleihen für Dritte sind durchaus üblich. Die eigenen Wagen könnte man zwar orten, aber das unterbleibt oft, sagt ein Insider zur taz. Der Markt sei nicht besonders eng. „Über den Preis geht alles“, sagt der Experte, „und wenn man dringend Geräte braucht, sind die auch innerhalb eines Tages aus Berlin oder München im Rheinland“. Eine Arbeitsbühne wie sie in Hambach eingesetzt sind, ist relativ günstig zu haben: 500 bis 800 Euro am Tag, je nach Größe.
Über RWE öffentlich sprechen will keiner in der Branche. Der Energiekonzern gilt als guter Auftraggeber auch in Bereichen jenseits der Braunkohle, der bei dringendem Bedarf großzügig auch über Marktniveau zahle, sagt ein Szenekenner. Die ausgestiegene Firma Gerken („Wir werden von Presseanfragen überschüttet, bitte alles schriftlich“) antwortet auf konkrete Fragen bislang nicht.
Bleibt der Branchenriese Boels („bereit für eine grüne Zukunft“) mit über 400 Filialen europaweit. Boels ist nach wie vor mit mehreren Arbeitsmaschinen im Hambacher Wald präsent. Übers Wochenende reagierte das Unternehmen aus dem niederländischen Sittard nicht, ob man im Wald bleiben wolle. AktivistInnen fordern mit Mails und Tweets vehement einen Rückzug nach Vorbild der drei deutschen Firmen und fordern auf, Boels, das auch Heimwerkerbedarf anbietet, fortan zu boykottieren.
Indes ist die RWE-Aktie seit Tagen gegen den Börsentrend gefallen – ob das an den rabiaten Räumungen im Hambacher Wald liegt, ist aber umstritten. Sicher ist: Die Strombranche erlebt derzeit eine deutlich erhöhte Fluktuation weg von den alten Konzernen; „Greenpeace energy“ etwa meldet „eine der größten Wechselwellen seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011“ und verweist ausdrücklich auf „das aggressive Verhalten des Kohlekonzerns RWE“.
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