England gegen Deutschland: Der Glaube an die eigene Stärke
Das deutsche Team siegt auf dem heiligen Rasen von Wembley: Ersatzgeschwächt, holprig und dank schwacher Engländer. Doch Löws Team redet nur von der eigenen Stärke.
LONDON taz Da stand er nun, der kleine Pjotr Trochowski, ein junger Mann von 23 Jahren, der gerade einmal fünf Länderspiele für Deutschland absolviert hat - und schien einfach nur glücklich. Gerade hatte er mit dabei sein dürfen beim 2:1-Sieg der Deutschen gegen die englische Fußballnationalmannschaft. Und das als erste Mannschaft im nagelneuen Wembley-Stadion zu London vor knapp 90.000 Zuschauern.
Und was sagte Trochowski? "Beckham, Lampard, das sind doch auch nur normale Spieler, die kochen auch nur mit Wasser." Und: "Wenn man vor denen Angst hat, sollte man gar nicht erst auflaufen." Aha. War damit etwa mitgemeint, dass auch die deutschen Cheffußballer Michael Ballack, Torsten Frings oder Miroslaw Klose, die neben etlichen anderen - Schweinsteiger, Podolski e.a. - verletzt fehlten, keine Überspieler sind, dass sie eben deshalb leicht ersetzt werden können. Mit Wasser kochen, das können auch ein Pjotr Trochowski oder ein Debütant wie Christian Pander, der sogar das entscheidende Tor schießen durfte. Sollte das alles wirklich so einfach sein?
Am Ende sprachen alle, auch Bundestrainer Joachim Löw, von den 20 Minuten, die es gebraucht habe, um ins Spiel zu finden, was besonders schwer gewesen sei, weil die Deutschen erstmals unter Löws Anleitung das bislang als heilig gepredigte 4-4-2-System verlassen haben. Stattdessen haben sie mit nur einem Stürmer, Kevin Kuranyi, gespielt - und einem Fünf-Mann-Mittelfeld. Alle Deutschen, die sich nach dem Spiel äußerten, sprachen am Ende davon, dass der Sieg die logische Folge der konsequenten Umsetzung der taktischen Vorgaben gewesen sei. Eine Vorgabe, die Philipp Lahm mit den Worten beschrieb: "Aus einem kompakten Mittelfeld schnell in die Spitzen spielen." Die Spieler sprachen, als hätten sie sich abgesprochen. Die Löw'sche Erfolgsstory sollte also auch in London ihre Fortsetzung finden. Und die lebt nicht nur von den Siegen der Mannschaft, sie lebt vor allem vom Glauben an den Erfolg der Strategie.
Ergebnis: 1:2 (1:2)
England: Robinson (Tottenham Hotspur - 46. James/FC Portsmouth) - Shorey (FC Reading), Richards (Manchester City), Ferdinand (Manchester United - 46. Brown/Manchester United), Terry (FC Chelsea) - Carrick (Manchester United - 55. Barry/Aston Villa) - Beckham (Los Angeles Galaxy), Lampard (FC Chelsea), Joe Cole (FC Chelsea - 70. Wright-Phillips/FC Chelsea) - Smith (Newcastle United - 57. Crouch/FC Liverpool), Owen (Newcastle United - 57. Dyer/West Ham United)
Deutschland: Lehmann (FC Arsenal) - Arne Friedrich (Hertha BSC), Mertesacker (Werder Bremen), Metzelder (Real Madrid), Pander (FC Schalke 04) - Odonkor (Betis Sevilla - 54. Hilbert/VfB Stuttgart), Schneider (Bayer Leverkusen - 90. Castro/Bayer Leverkusen), Lahm (Bayern München), Hitzlsperger (VfB Stuttgart) - Trochowski (Hamburger SV - 72. Rolfes/Bayer Leverkusen) - Kuranyi (FC Schalke 04)
Schiedsrichter: Busacca (Schweiz) - Zuschauer: 86.133
Tore: 1:0 Lampard (9.), 1:1 Kuranyi (26.), 1:2 Pander (40.)
Gelbe Karten: Joe Cole (1) / -
Beste Spieler: Richards, Joe Cole / Mertesacker, Lahm, Hitzlsperger
Als sich die Nationalmannschaft Anfang der Woche versammelt hatte, da wusste Löw schon, dass er eine neue Taktik benötigt. Er informierte seine Spieler und absolvierte ein paar Trainingseinheiten. Dann stand eine Mannschaft auf dem Platz, die so noch nie zusammengespielt hatte, die so nie wieder zusammenspielen wird, und gewinnt auf Englands heiligem Rasen.
Lässt sich das wirklich planen? Waren die Deutschen wirklich so gut vorbereitet? Ist Joachim Löw gar ein Genie, der es versteht, eine Mannschaft binnen dreier Tage systematisch umzupolen? Da kickt Philipp Lahm, der sonst die Außenbahnen entlang läuft, plötzlich im defensiven Mittelfeld, zeigt Übersicht im Abwehrverhalten und Fortune in der Spieleröffnung. Er erinnert auch auf seiner neuen Position an die Tage während und nach der WM, an denen man sich gar nicht vorstellen konnte, dass er einmal nicht gut Fußball spielen könnte. Kann man als guter Fußballer, der es versteht, mit Wasser zu kochen, wirklich so schnell umschalten? Oder ist Philipp Lahm, auch er gerade einmal 23 Jahre alt, gar ein Genie, zu Recht mit der Kapitänsbinde belohnt, die er tragen durfte, nachdem Bernd Schneider kurz vor Schluss des Spiels ausgewechselt wurde?
Sie selbst, Spieler und Trainer, würden sich nie als genial bezeichnen. Seit Beginn der Amtsszeit von Joachim Löw vor einem Jahr ist es Usus, immer auch Fehler anzusprechen. So auch dieses Mal, zum Beispiel Lahm: "Natürlich läuft nicht sofort alles rund." Oder Roberto Hilbert: "Natürlich habe ich zwei, drei Fehler gemacht. Daran muss ich arbeiten, ich bin lernfähig." Und schließlich Joachim Löw: "Wir müssen weiter arbeiten."
Und doch reden sie hauptsächlich von sich, von ihrer Arbeit, von ihrer eigenen Leistung. Dass es die Engländer waren, die nach einem furiosen Auftakt und der 1:0-Führung durch Frank Lampard nach 20 Minuten plötzlich nicht mehr laufen wollten, ihren einzig immer fleißigen Antreiber David Beckham regelrecht in der Luft haben hängen lassen, ihre Gegenspieler nicht mehr so recht angreifen wollten, davon wollte keiner so recht reden. Davon eben, dass die Engländer es den Deutschen doch arg leicht gemacht haben, in ihr neues Spielsystem zu finden.
Denn nur so fanden die Deutschen doch ins Spiel, erzielten nach eine scharfen Flanke von Schneider die Englands Keeper Robinson nicht übers Tor lenken konnte, sondern nur vor Kuranyis Füsse in der 26. Minute den Ausgleich. Und mit einem präzisen Distanzschuss aus fast 30 Metern von Pander in der 40. Minute den Siegtreffer.
Eine Erklärung für Englands Schwächeln hatte ohnehin keiner. "Komisch, dass die das gemacht haben", sagte Team-Manager Oliver Bierhoff, um sofort wieder von den Taten der Deutschen zu schwärmen: "Ich bin stolz, darauf, dass die Mannschaft, so gut miteinander kommuniziert, dass sie selbst eine Lösung für schwierige Situationen finden kann." Da kann der Gegner noch so schlecht spielen, beste Chancen jämmerlich vergeben, glückliche Siege gibt es nicht mehr im neuen, deutschen Fußballzeitalter. Löw und Bierhoff sind die Vorbeter des deutschen Fußballglaubensbekenntnisses, in dem vor allem eines regelrecht angebetet wird: der Glaube an die eigene Stärke. Die Spieler scheinen es verinnerlicht zu haben. Sie sind überzeugt davon, besser mit Wasser zu kochen als die anderen.
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