: Enger Traumraum
Entschleunigt, aber lethargisch: Kleists „Prinz Friedrich vom Homburg“ am Thalia Theater ■ Von Petra Schellen
Gesetz, Raum, Zeit: Das sind die Gitterstäbe, an denen Kleists Prinz von Homburg rüttelt. Die Gesetze von Raum und Zeit sind es, an denen Regisseur Stefan Kimmig rüttelt. Gegen die er seine Figuren anrennen lässt, ohne dass hinterher klar geworden wäre, wie man sie überwindet: Es ist eine groß angelegte Entschleunigung, die Kimmig in seiner Thalia-Inszenierung von Kleists Prinz Friedrich von Homburg anstrebt, der Versuch, dem rasenden Wort-Aktions-Karussell seine Ruhe wiederzugeben.
Und so läuft das Stück gemächlich an mit der Schlafwandelszene mit Prinz und Hofstaat, die zwischen stählernen Gittern wandeln. Gar langsam entblättert sich das Geschehen, gar magisch funkelt die Taschenlampe, als sei man bei den drei Hexen in Shakespeares Macbeth gelandet. Nur dass die Kleistsche Handlung hier ungleich undramatischer ist und solchen Zeitaufwand nur mäßig gerechtfertigt erscheinen lässt.
Pathetisch und bedächtig sagen die Akteure ihre Texte auf; langatmig, als dirigiere der 108-jährige Karajan Beethovens Neunte, tritt Feldmarschall Dörfling (Axel Olsson) mit seinen Generälen zusammen, um den Verlauf des Kampfes zu besprechen. Betongrau sind die Mäntel, betonschwer legt sich Langeweile über das Spiel, wenn aus den viel beschworenen Kleistschen Pausen – etwa im Gespräch zwischen dem Kurfürsten (Markwart Müller-Elmau), der Kurfürstin (Elisabeth Schwarz) und Prinzessin Natalie (Maren Eggert) – keine Spannung erwächst, weil reines Innehalten das Stück auch nicht dichter macht. Langatmig bis zur Belanglosigkeit gerät das fast betuliche Dreierfrühstück, eher blutleer als provokativ der Dialog, in dem Graf Hohenzollern (Jörg Lichtenstein) dem Prinzen von Homburg (Thomas Schmauser) beibringt, dass er zum Tode verurteilt ist.
Doch ein paar Belebungspillen wurden auch in das Stück gestreut, Figuren, die aus dem Graugrau pathetischen Kleist-Buchstabierens wegdriften: Markwart Müller-Elmau als Kurfürst ist da zum Beispiel, eine Figur, die preußenuntypisch unmartialisch wirkt und als sturer, selbstgerechter Greis daherkommt, der eher die Einsamkeit in Kauf nimmt, als vom Buchstaben des Gesetzes abzuweichen, das den Prinzen wegen Eigenmächtigkeit zum Tode verurteilt. Etliche Male schwadroniert der Kurfürst über Recht, Ordnung und die unabsehbaren Folgen, die das Brechen der Regeln zeitigen würde – bis die ihn Umgebenden endlich begreifen, dass er nicht mit Menschlichkeits-Plädoyers, sondern allein mit Logik zu schlagen ist.
Immer stärker zeigt sich gleichzeitig des Kurfürsten Wesensverwandtschaft mit dem somnambulen Prinzen, der zwanghaft aus der Reihe tanzt und nie für längere Zeit von dieser Welt zu sein scheint. Denn unrealistisch ist auch der Kurfürst auf seine Art – nur dass er im Traumraum selbst erschaffener Gesetze wandelt, von wo er fast nicht mehr in die mitmenschliche Realität zurückzufinden droht. Marionettenartig bewegen sich Richter und Verurteilter, als verkörperten sie Facetten desselben Spiels, denn letztlich findet jeder in der Sturheit des anderen sich selbst gespiegelt, wenn der Kurfürst nicht nachgeben kann und der Prinz nicht glauben, dass er sterben soll. Befangen ist jeder von ihnen in seiner eigenen Idee von der Ordnung, die in der Welt herrschen sollte – und im Grunde sind sie sich in puncto Gerechtigkeit einig. Nur hat einer von ihnen Macht über den anderen; außerdem soll Gnade nicht als eingefordertes, sondern als freiwilliges Geschenk über den Prinzen hereinbrechen. Gespielt wird der facettenreich und leicht epileptisch von Thomas Schmauser, der sich jede Regung des Zerrissenen aufs Gesicht und in seine Gesten zieht: Wie Heuschreckenbeine verknoten sich seine Arme, als er Natalie seine Liebe offenbart; zum Embryo verkrampft er sich, als er begreift, dass er verurteilt ist; selig wie Ernst Barlachs Singende Alte schwärmt er mit irr-entrücktem Lächeln von den Freuden des Paradieses. Ein Getriebener, die Marionette fremder Gesetze ist Homburg, der der Kurfürstin Gesicht erst wie Japanpapier zerknautscht vor Angst und dann wieder „mannhaft“ den Tod erleiden will.
Und auch wenn es zuerst nicht so scheint, hat er in Natalie eine kraftvolle Kämpferin gefunden, die energisch für ihn bittet und ihn zu seinem Glück prügeln will. Sie schafft es nicht, aber ihr gelingt – zusammen mit den anderen Schauspielern – etwas anderes: das Leben in eine Inszenierung zurückzuzerren, die um ein Haar an Lethargie verstorben wäre...
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