Energieexperte über Umgang mit Atommüll: "Frankreich hat ein Sicherheitsproblem"
Der Präsident der atomkritischen Organisation Wise, Yves Marignac, über die Tradition von Vertuschung, mehr Sicherheit im Umgang mit Atommüll und Lehren aus Fukushima.
taz: Herr Marignac, glauben Sie den Beteuerungen des Betreibers der Atomanlage in Marcoule, dass keine Radioaktivität ausgetreten ist?
Yves Marignac: Das ist momentan schwer zu beurteilen. Gleich nach der Explosion behauptete der Betreiber, es würde keine Radioaktivität austreten. Allerdings dürfen nach unseren Informationen die Arbeiter der Anlage die Gebäude nicht verlassen. Es scheint also etwas nicht in Ordnung zu sein. Auf jeden Fall ist es kein kleiner Unfall.
Erwarten Sie, dass der Fall überhaupt transparent aufgeklärt wird?
Das hoffen wir. Es gibt eine sehr lange Tradition von Vertuschung in Frankreich. Allerdings hat sich in den letzten Jahres einiges gebessert. Nach Fukushima hat die Industrie absolute Transparenz versprochen. Dieses Unglück ist jetzt der Stresstest für die Industrie, ihre Versprechen einzuhalten. Bisher verfällt sie aber in die alten Verhaltensmuster: erst mal beruhigen und behaupten, man hätte alles unter Kontrolle.
Wie oft gibt es Unfälle mit radioaktivem Müll in Frankreich?
Es gab einige Unfälle in der Vergangenheit. Ich hoffe, jetzt wird mehr Wert auf die Sicherheit im Umgang mit dem Müll gelegt. Denn das Problem ist groß, wir haben ein gewaltiges Entsorgungssystem für den Strahlenmüll. Momentan wird fast ausschließlich darüber diskutiert, wie resistent unsere Reaktoren sind. Beispielsweise haben wir ein Problem in der Wiederaufbereitungsanlage von La Hague.
ist Experte für Energiepolitik. Er leitet das Pariser Büro der Nichtregierungsorganisation World Information Service Energy (WISE).
Was könnte denn im Ernstfall passieren?
In unseren Wiederaufbereitungsanlagen sind mehr radioaktive Stoffe an einem Ort gelagert als in den einzelnen Kernkraftwerken. Die beiden größten Konzentrationen an Strahlenmüll sind in La Hague und eben Marcoule. In La Hague gab es mehrere Unfälle, bei denen Radioaktivität ausgetreten ist. Wir haben nach den Anschlägen des 11. September Studien über das Risiko erstellt. Das Ergebnis: Ein Flugzeugabsturz auf eine solche Anlage oder andere Explosionen könnten zu einer Verseuchung führen, die schlimmer wäre, als es in Tschernobyl war.
Wie hoch ist das Risiko?
Nicht sehr hoch, aber eine Lehre aus Fukushima ist doch, dass wir genau auf die Szenarien eingehen müssen, auf die sonst niemand achtet.
Wird der Unfall jetzt die Politik in Frankreich beeinflussen?
Die Regierung hat klargemacht, dass Fukushima ihre Einstellung zur Atomenergie nicht geändert hat. Dann wird es dieses Ereignis jetzt auch nicht tun. Aber es wird die Debatte stimulieren. Wir haben nächstes Jahr Wahlen, und zum ersten Mal wird Atomenergie eine wichtige Rolle dabei spielen.
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