piwik no script img

Energieexperte über Netzausbau„Weniger Leitungen sind möglich“

Der Energieexperte des Bundesverbraucherverbandes, Holger Krawinkel, über mehr Windstrom aus Süddeutschland, Neubautrassen und Kostensenkung.

Neben neuen Leitungen für den Ferntransport des Stroms, müssen auch die Verteilungsnetze modernisiert werden, findet Energiefachmann Holger Krawinkel. Bild: dpa
Interview von Richard Rother

taz: Der neue Netzentwicklungsplan geht davon aus, dass bis zum Jahr 2022 rund 3.800 Kilometer Höchstspannungsleitungen neu gebaut werden müssen, um die Energiewende zu schaffen. Brauchen wir so viele neue Leitungen?

Holger Krawinkel: Nein. Denn die Frage ist, wofür wir sie brauchen. Sie sind geplant, um die große Menge an Strom, die in den neu zu errichtenden Windkraftanlagen auf hoher See produziert werden sollen, in die Regionen mit hohem Verbrauch in Süddeutschland zu transportieren. Würde in Baden-Württemberg und Bayern selbst deutlich mehr Windstrom erzeugt, brauchte man auch weniger Leitungen von Nord nach Süd. Dies wäre auch effektiver, da die Erzeugung von Windstrom auf See hohe Kosten verursacht und technologisch risikoreich ist.

Geplant sind vier große Neubautrassen von Nord nach Süd, die in den betroffenen Regionen auf Widerstand in der Bevölkerung stoßen. Auf wie viele könnte man verzichten?

Die vier Leitungen braucht man, wenn man die geplante Leistung von zwölf Gigawatt auf See errichtet und der Ausbau der Windenergie an Land in Norddeutschland voranschreitet. Die so erzeugten Strommengen können im Norden gar nicht verbraucht werden und müssen deshalb in den Süden. Wenn man den Ausbau auf See zunächst auf vier bis fünf Gigawatt begrenzte, brauchte man nur noch zwei neue Nord-Süd-Leitungen.

Gehen dann in Süddeutschland die Lichter aus?

dpa
Im Interview: HOLGER KRAWINKEL

55, ist seit 2004 Fachbereichsleiter für Bauen, Energie und Umwelt im Verbraucherzentrale-Bundesverband. Er studierte Geografie und Raumplanung.

Nein. Rund zehn Gigawatt Seewindstrom-Leistung lassen sich durch den Ausbau der Windenergieanlagen in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen ersetzen. Dass das machbar ist, zeigt Rheinland-Pfalz.

Warum funktioniert das bislang nicht überall?

In Süddeutschland, vor allem auf der Schwäbischen Alb und im Schwarzwald, gibt es häufig Widerstand gegen Windräder. Denn es nützt ja nichts, diese in windschwache Täler zu stellen, sondern sie müssen auf Anhöhen stehen und auch höher sein als bislang. Da ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig.

Geht die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg das Thema an?

In den süddeutschen Ländern haben sich bereits parteienübergreifend Politiker gegen Windkraftanlagen auf See und für Windräder in ihren Regionen ausgesprochen. Diesen Worten müssen jetzt Taten folgen. Letztlich ist das auch für die Bewohner vor Ort günstiger, denn die Erzeugung und Verteilung von Seewindstrom ist deutlich teurer als die von Landwindstrom. Am Ende werden ja sämtliche Kosten für Erzeugung und Netzausbau auf die Verbraucher umgelegt.

Sollte man gänzlich die Finger vom Seewindstrom lassen?

Das ist nicht nötig. Wir brauchen aber eine angemessene Lernkurve. Das bedeutet, dass man nicht zu viele Anlagen auf einmal errichten kann. Beispielsweise gibt es noch zu wenig Erfahrung, ob statische oder Korrosionsprobleme durch einen jahrelangen Betrieb entstehen.

Was sollte die Politik jetzt am besten tun?

Vernünftig wäre ein Bundesausbaugesetz für erneuerbare Energien, in dem sich die einzelnen Bundesländer auf die jeweiligen Ausbauziele verpflichten. Darauf aufbauend muss man dann die Netzentwicklungsplanung vorantreiben. Das bedeutet: Wir brauchen nicht nur neue Leitungen für den Ferntransport des Stroms, sondern müssen auch die Verteilungsnetze modernisieren, um die Last- und Nachfragesteuerung zu verbessern. Hierbei ist eine Zusammenlegung der bislang über 850 Netzeinheiten nötig. So lassen sich Kosten senken und die Versorgungssicherheit erhöhen. Auch müssen wir über Reservekraftwerke nachdenken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • D
    dirk

    es ist schon höchst despektierlich, was sich hier alles als Energieexperte bezeichnen darf.

    Hat die TAZ spaßeshalber mal Elektroingenieure, die sich mit dem Thema Netzausbau, Energieübertragung- und Verteilung und Energieerzeugung beschäftigen befragt?

    Diese dürften eine zwar nicht TAZ konforme Meinung vertreten, aber der Wahrheit sicherlich dienlicher sein und werden deswegen selbstverständlich gar nicht erst gefragt.

    Ein Raum- und Umweltplaner dürfte in Sachen Energiewende wohl die falsche Auskunftei sein.

  • V
    vic

    Ob Kitas, Asylunterkünfte, Mülldeponien, Windkraftanlagen. Es gibt immer welche, denen irgendwas nicht passt- nicht in ihrer Nachbarschaft, nicht in ihrem Blickfeld.

    Es gibt allerdings Notwendigkeiten, die über persönlichen Befindlichkeiten stehen.

  • O
    oliver

    schon mal was von Windgas gehört! Bei diesem, u.a. von Greenpeace Energy unterstützten, Projekt wird, grob gesagt, Windenergie in Gas umgewandelt und ins vorhandene Gasnetz eingespeist, d.h. es sind keine teuren Stromtrassen notwendig!!