Energie: Lange Leitungen
Der Umweltausschuss lud zur Anhörung: Wer soll die Energienetze künftig betreiben - und wie? Der bisherige Betreiber Vattenfall beantwortete nicht alle Fragen.
Die Sichtweisen könnten nicht unterschiedlicher sein, als im Umweltausschuss am Mittwoch die Konzepte gehört werden, wie und von wem die Berliner Energienetze in Zukunft betrieben werden sollen. Da sind zum einen die bisherigen Betreiber, Gasag und Vattenfall – deren Position: Alles läuft bestens. Zum anderen sind da jene, die im Sinne der Umwelt und der Bürger alles besser machen wollen.
„Wir haben sehr hohe Effizienwerte“, sagt Olaf Czernomoriez, Vorstandsmitglied der Gasag. Das Unternehmen sehe sich „gerüstet“, um wieder den Zuschlag zu erhalten, sagt Erik Landeck, Geschäftsführer der Vattenfall-Netzgesellschaft. Landeck sieht hinüber zu den Nebenbuhlern, die sich über viel Sympathie von Seiten der Abgeordneten freuen dürfen: Der Berliner Energietisch, der das Netz zurück in Landeshand bringen will und per Volksbegehren eine Rekommunalisierung des Stromnetzes fordert, und die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin (BEB), die das Netz selbst übernehmen will.
Das Volksbegehren: Der Berliner Energietisch, ein Bündnis von 41 Organisationen und Initiativen, hat mehr als 20.000 Unterschriften gesammelt. Damit kann das Volksbegehren für eine Rekommunalisierung des Stromnetzes formal eingeleitet werden. In einer zweiten Stufe braucht es rund 172.000 Unterstützer, dann kommt der Volksentscheid - wenn nicht das Parlament das Gesetz vorher selbst verabschiedet. Der Energietisch peilt als Abstimmungstermin den Herbst 2013 an.
Die Diskussion: Am Montag, 18. Juni findet um 19 Uhr im taz-Café eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel: "Berlin unter Strom - wem gehört das Netz" statt. Podiumsgäste sind: Daniel Buchholz (energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus), Erik Landeck (Geschäftsführer Vattenfall Europe Distribution Berlin GmbH), Luise Neumann-Cosel (Vorstand BürgerEnergie Berlin) und Stefan Taschner (Kampagnenleiter Berliner Energietisch). Eintritt frei. (se)
Die Konzession für das Gasnetz läuft Ende 2013 aus, die für Strom 2014. Acht Unternehmen haben sich um das Stromnetz beworben, sechs wollen gerne das Gasnetz betreiben. Darunter ist jeweils eine landeseigene Gesellschaft – vorsichtshalber, falls Berlin den Weg der Rekommunalisierung geht.
Netz in Landeshand
Rein rechnerisch gibt es bereits jetzt eine deutliche Mehrheit für ein Stromnetz in Landeshand, zumindest wenn man die Haltungen der Parteien betrachtet: Nachdem sich am Wochenende auch die SPD für die Unterstützung des Volksbegehrens ausgesprochen hat, sind alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien außer der CDU dafür – fast eine Drei-Viertel-Mehrheit. Es hängt also vor allem davon ab, ob die SPD sich gegenüber ihrem Koalitionspartner CDU durchsetzen kann.
Energietisch und Genossenschaft sehen sich ausdrücklich nicht als Konkurrenten. Beide sind davon überzeugt, dass den Energienetzen eine Schlüsselrolle bei der Energiewende zukommt. Die Netze sollen fit gemacht werden für eine verstärkte Einspeisung dezentral erzeugter Energien. Die Erträge sollen möglichst in der Region bleiben und auch in Ökokraftwerke investiert werden. Die Genossenschaft will einen Teil ihrer Gewinne aber auch an ihre Mitglieder ausschütten.
Momentan sei der Netzbetrieb ja streng reguliert – „aber wer weiß, wie es mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und den Netzentgelten in 20, 30, 40 Jahren aussieht?“, fragt Stefan Taschner, Sprecher des Energietisches. „Die Energielandschaft wird sich ändern“, sagt Hartmut Gaßner, BEB-Aufsichtsratsvorsitzender. Da müsse man jetzt schon die richtigen Weichen stellen.
Die Vattenfall-Vertreter gehen in eine Verteidigungshaltung über: Um die Energiewende voranzubringen, könne man als Netzbetreiber nicht viel ausrichten. Und auf manche Fragen der Abgeordneten wollen sie lieber gar nichts sagen: Ob Vattenfall etwa auch eine Minderheitsbeteiligung mit dem Land mitmachen würden. Oder wie viel Gewinn die konzerneigenen Servicegesellschaften erwirtschaften. Denn nur ein kleiner Teil der Vattenfall-Mitarbeiter, die für das Netz zuständig sind, sind bei der Netzgesellschaft angestellt. Diese machte im vergangenen Jahr einen Gewinn von 105 Millionen Euro. „Wettbewerbsrechtliche Gründe“ stünden der Veröffentlichung entgegen, sagt Vattenfall-Geschäftsführer Landeck, verspricht aber zugleich zu prüfen, „wie wir dem Wunsch nach Transparenz nachkommen können.“ Umweltsenator Michael Müller (SPD) kündigt an, dass im Herbst Gutachten zum Netzwert vorliegen werden.
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