: Endlich Streit im Theater
■ Wie das Münchner „Theater Links der Isar“ mit „Wessis in Weimar“ um die Wiedervereinigung streiten läßt
„Sie rufen doch zur Gewalt auf und legitimieren den Mord an Treuhandchef Rohwedder.“ Die empörte Stimme des jungen Mannes drohte zu brechen. „Wir stellen dar, was war“, verteidigte Regisseur Hartmut Baum die Absichten der Inszenierung, „Schlüsse muß jeder selber ziehen.“ Diese Traumszene jedes Theatermachers fand nicht etwa auf der Bühne statt, sondern nach der ersten Vorstellung von „Wessis in Weimar“ im Bremer Schauspielhaus.
Unter all den Inszenierungen, die bislang beim Festival „Politik im Freien Theater“ zu sehen waren, gab es hier die auffälligste Resonanz. Ein Teil des Publikums verließ das Schauspielhaus ärgerlich, andere forderten von den Theaterleuten eine Stellungnahme nach der Vorstellung. Wenn „Politik im Theater“ mehr sein will als die immerwährende ausgewogene Bestandsaufnahme der Nazi-Vergangenheit oder noch weiter zurückliegenderer Schandflecken der deutschen Geschichte, dann ist dies das Ziel: Ein handfester Streit. Im Münchner „Theater Links der Isar“ hat man dies beabsichtigt. Mit der Erkenntnis, daß „der spröde Text von Hochhuth mit 200 Prozent Emotion gefüllt werden“ muß, versucht man keinesfalls eine mehrheitsfähige Version des umstrittenen Stücks zu liefern, sondern setzt voll auf die Provokation der Hochhuthschen These: Von Chancengleichheit könne keine Rede gewesen sein, als das Volkseigentum in Privateigentum überführt wurde.
In der Münchner Inszenierung wurde aus Hochhuths Textkonvolut, das etwa für sechs Stunden gereicht hätte, eine kluge zweistündige Fassung. Fünf Szenen berichten vom Leben im Osten im Jahre Zwei nach der Wende: Von Apfelbäumen, die mit der Kreissäge umgelegt werden, weil ihre Früchte die EU-Norm nicht erfüllen. Vom gewissenlosen Treuhand-Präsidenten Detlev Rohwedder, dem eine engagierte Professorengattin die Leviten liest. Vom öffentlichrechtlichen Fernsehen, in dem Intendanten unliebsame Ost-Berichterstattung einfach aus dem Programm nehmen. Und von einem alten Bauernpaar, das aus Verzweifung in den Tod geht. In dieser letzten Szene wird mit Gefühlskitsch wahrlich nicht gespart. Wer mit Herbert und Käthe Seydel, beide herzensgut und vorbildliche Menschen, kein Mitleid hat, der trägt einen Feldstein in der Brust. Da haben die beiden Haus, Hof und Wiesen für nur 17 DDR-Pfennig pro Quadratmeter verkauft. Dann kam die Währungsunion, und plötzlich waren 20.000 Mark nur noch die Hälfte wert. Jetzt sollen sie in eine Zwei-Raum-Wohnung umgesiedelt werden. Im letzten Bild sehen wir Herbert und Käthe Seydel mit dem Strick um den Hals vorm Fensterkreuz.
Die Zuschauer sind berührt und manche ärgern sich genau darüber. Hartmut Baum, der Regisseur von „Wessis in Weimar“ hat eben das beabsichtigt. Obgleich Rolf Hochhuths Text bei der Uraufführung als „zu journalistisch“ kritisiert wurde, ist nun eine theatralisch wirkungsvolle Fassung entstanden. Nicht etwa weil Westautor Hochhuth sich plötzlich als begabter Dramatiker der Ostprobleme entpuppt - die Dialoge, besonders Liebesszenen sind immer noch hölzern - sondern weil Baum genügend souverän ist, die Qualität des Materials zu erkennen. Mit radikalen Strichen gelingen die fünf Szenen in jeweils starken Emotionen: Wut, Verzweifung, Rache und Mitleid ,all das kann man in den zwei Stunden mit den Figuren auf der Bühne teilen. So entsteht ein starker Abend, gerade, weil „Wessis in Weimar“ gnadenlos parteiisch ist.
Und wie kommt ein privates Theater in München dazu, sich so für die Ossis in die Bresche zu werfen. Dem Gespenst Kapitalismus entweicht manchmal ein verblüffendes Lachen. Niemand anderes als ein spendabler Mäzen hatte die „Wessis“ möglich gemacht. Die Inszenierung von Hochhuths „Juristen“ hatte den wohlhabenden Mann so begeistert, daß er beim nächsten Mal 100.000 Mark Unterstützung für den Erzkritiker des Kapitalismus versprach.
Susanne Raubold
Heute im Schauspielhaus um 20 Uhr: Rolf Hochhuth diskutiert
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