: Endlager wurde zum Vorzeigen geputzt
Mit der Stillegung von Morsleben durch das Bezirksgericht Magdeburg will sich der Bundesumweltminister nicht abfinden/ Staatssekretär empfängt Journalistenschar 500 Meter unter der Erde/ Töpfer geht in die Revison ■ Aus Morsleben Jürgen Voges
„Im Notfall, der allerdings nicht eintreten wird, müßten wir das Endlagerbergwerk über den Nachbarschacht Marie verlassen“, sagt Heribert Kögler von der „Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlager für Abfallstoffe“ (DBE). Er kennt noch die Zeiten, als das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben auf die Abkürzung „ERAM“ getaufte wurde und zum DDR-Energiekombinat „Bruno Leuschner“ gehörte, und achtet jetzt peinlich genau auf die Sicherheit der ihm anvertrauten 20 Journalistinnen und Journalisten. Geduldig versorgt er sie mit endlagereigener grauer Unterwäsche und gelben Overalls, mit Helmen, Grubenlampen und je einem vier Kilo schweren Atemschutzgerät, das für „den Brandfall“ mitzuschleppen ist. Unten wartet der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Bertram Wieczorek, auf die Schar.
Nur zwei Minuten braucht der Förderkorb für die 500 Meter bis auf die dritte Sohle, wo es zu Fuß durch das Netz der Stollen weitergeht. Das einst helle Steinsalz ist geschwärzt von den Abgasen der Maschinen, mit denen hier insgesamt 80 Jahre lang Kali abgebaut und transportiert wurde. Am Boden Asphalt, oben an der Decke der tunnelhohen Stollen laufen ein Dutzend Kabel. Schier alles ist aufgeräumt und gefegt: schließlich ruht der Einlagerungsbetrieb, seit ihn das Bezirksgericht Magdeburg im Februar 1991 untersagt hat. Die zweihundert Beschäftigten des Endlagers haben dennoch fast alle zu tun, sagt Heribert Kögler. „Mit der eigentlichen Einlagerung des schwach- und mittelaktiven Abfalls waren ohnehin nur zehn Leute beschäftigt.“ Die meisten Beschäftigten sind Bergleute, die die Grube instand halten, oder Wissenschaftler.
Der Staatssekretär, der unten mit einem knatternden, mehr als vierzig Jahre alten Jeep sowjetischer Bauart, herumgefahren wird, taucht erst an dem Querstollen auf, von dem aus früher durch fünf Öffnungen im Boden fester radioaktiver Müll in darunterliegenden Hohlräume gekippt wurde. 14.000 Kubikmeter Atommüll wurden im gesamten Bergwerk auf diese Art bereits endgelagert, darunter auch 2.500 Kubikmeter flüssiger Abfall, der einfach zusammen mit Asche in die Endlagerkavernen gesprüht wurde. Die „Versturz“-Löcher in dem Querstollen sind jetzt mit blauen Eisenplatten abgedeckt, auf denen ein gelbes Radioaktivitäts-Zeichen vor zu langem Aufenthalt warnt. Der Staatssekretär stellt ein paar Fragen, nickt verständsnisvoll, als er auf den Monitor blickt, der das Bild des unten aufgehäuften Ascheabfall-Kegels zeigt. „Der parlamentarische Staatssekretär hat sich davon überzeugen können, daß eine Reihe technischer Verbesserungen durchgeführt wurde, um die technische Beschaffenheit des Endlagers weiter zu optimieren“, heißt es in der Pressemitteilung, die die JournalistInnen schon vor der Einfahrt des Beamten in den Schacht erhalten haben.
Natürlich bleibt der Förderkorb funktionsfähig, der Fußmarsch zum Rettungsschacht Marie bleibt der Besuchergruppe erspart. In diesem auf drei Ebenen mit dem Endlagerbergwerk verbundenen Nachbarschacht wurde zu DDR-Zeiten auch Giftmüll eingelagert. Dort hätten die Pressevertreter vielleicht auch die „Tropfstellen“ zu sehen bekommen, über die schon jetzt Wasser in das Grubengebäude rinnt. In den 80 Jahren Kaliabbau hat man zuwenig Salz zwischen Grube und dem grundwasserführenden Deckgebirge stehen lassen. Alle Überlegungen zur „Langzeitsicherheit“ des Endlagers gehen deswegen davon aus, daß der Schacht eines Tages absaufen wird.
„Einen Sicherheitsrabatt wird es für das Endlager Morsleben nach wie vor nicht geben“, sagt Bertram Wieczorek später im Besprechungsraum neben der Endlagerkantine. Das Bezirksgericht Magdeburg habe den Endlagerbetrieb aus „rechtsformalen Gründen“ gestoppt und dabei „weder die Genehmigung selbst noch die Sicherheit des Endlagers in Zweifel gezogen“ — alles Aussagen, die zu Verwunderung Anlaß geben. Das Urteil des Bezirksgerichts, gegen das das Bundesumweltministerium Revision eingelegt hat, setzt sich nämlich sehr wohl mit der Sicherheit von Morsleben auseinander. Zwar stellt das im vergangenen November ergangene und jetzt schriftlich vorliegende Urteil fest, daß die aus dem Jahr 1986 stammende Betriebsgenehmigung für das Endlager nie auf das Bundesamt für Strahlenschutz übergegangen ist, bei dem zweimaligen Eigentümerwechsel im Jahre 1990 nicht übertragen wurde und auch gar nicht übertragen werden konnte. Das Bezirksgericht hat außerdem festgeschrieben, daß Morsleben zur Zeit nicht „planfeststellungsfähig“ ist und damit den bundesdeutschen Anforderungen an ein Endlager nicht entspricht, auch wenn Staatssekretär Wieczorek immer noch von dem einzigen „arbeitsfähigen Endlager des Bundes“ spricht.
Unter Berufung auf ein offizielles Gutachten der Gesellschaft für Reaktorsicherheit stellte etwa das Bezirksgericht fest, daß eine Zunahme der Laugenzuflüsse an den Tropfstellen der Grube nicht auszuschließen sei und daß dieses schon bald „zu einer Beeinträchtigung der Stabilität des Grubengebäudes führen könnte“. „Umfassende Langzeitsicherheitsanalysen“ vermißte das Gericht gänzlich. Die DDR hatte nämlich die Einlagerung in Morsleben ohne ein Konzept zur Langzeitsicherheit genehmigt; die sollte erst während des Einlagerungsbetriebes entwickelt werden. Diesen wahrlich entscheidenden „Sicherheitsrabatt“ — schließlich ist es die Funktion eines Endlagers, auf lange Zeit sicher zu sein — wollte allerdings auch die Bundesrepublik weiterhin gewähren: schließlich sieht der Einigungsvertrag vor, daß die Genehmigung von Morsleben zehn Jahre fortgelten soll.
Für „planfeststellungsfähig“ scheint im übrigen auch der Bundesumweltminister Morsleben nicht zu halten. Wenn man in der erst für 1994 zu erwartenden Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes keinen Erfolg habe, werde man für Morsleben auch kein neues Planfeststellungsverfahren einleiten, sagt Staatssekretär Wieczorek. Bei einem „Erfolg“ in der Revision solle Morsleben allerdings zur Hälfte auch mit Atommüll aus den alten Bundesländern beschickt werden. Will der Bund das nasse Endlager aber nicht eines Tages wieder ausräumen müssen, so muß er — selbst für die endgültige Stillegung — ein Langzeitsicherheitskonzept vorlegen. In dem Fall will man den radioaktiven Müll durch Dammbauten vor dem einfließenden Wasser abschotten und Teile oder auch die ganze Grube verfüllen. „Mit dem Verfüllen der ganzen Grube wären wir allerdings ziemlich lange beschäftigt“, sagt Heribert Kögel auf dem Rückweg aus dem Schacht — bevor er die Journalistenschar nackt, wie Gott sie schuf, durch die neue Apparatur zur Ganzkörperkontrolle schickt.
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