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Ende vom Messenger ICQAh oh, ah oh, ah oh

Johannes Drosdowski
Kommentar von Johannes Drosdowski

ICQ war einer der ersten Instant-Messaging-Dienste des Internets und Verband in den 2000ern Millionen Menschen. Jetzt geht er offline. Ein Nachruf.

Das berümte Blumen-Logo von ICQ Foto: imago

S chnell die Kopfhörer in die Buchse stecken, damit es im Wohnzimmer niemand hört: Die Nachrichten kommen im Sekundentakt an. Das „Ah oh“-Geräusch zu unterdrücken, das so viel Glück durch Kommunikation verspricht, war eine der wichtigsten Aufgaben vieler Teenager in den Abendstunden der 2000er Jahre, wenn eigentlich Vokabellernen angesagt war. ICQ war einer der ersten Instant-Messenger-Dienste und lieferte den zu verheimlichenden Dopaminkick der sozialen Onlinewelt. Nicht nur, weil man sonst ermahnt wurde, endlich seine Hausaufgaben zu erledigen, sondern vor allem wegen der elenden elterlichen Frage: „Mit wem schreibst du da eigentlich?“

Mit Mitschüler*innen, der heimlichen Liebe, mit Menschen aus digitalen Jugendclubs … Zu seinen Hoch-Zeiten 2009 waren bei ICQ 470 Millionen Nummern registriert, der Dienst verband Menschen und Welten. Dann verschwand er von vielen Endgeräten. Zum 26. Juni wird ICQ nun komplett eingestellt. Zum Glück.

1996 entwickelte ein israelisches Start-up von vier gelangweilten Studierenden ICQ. Nach nur zwei Jahren kaufte AOL (die mit den Internet-CDs) das Start-up auch schon für mehr als 400 Millionen US-Dollar auf. Denn ICQ war ein Zauber: Es bot die gleichen Möglichkeiten wie Chatrooms – nur eben als Programm. Man musste keine URL mehr eintippen, nach den aktuell besten Websites suchen, unglücklich durch Räume crashen. Man meldete sich einfach an und konnte über eine Nummer, die Telefonnummern glich, gezielt den Menschen schreiben, die man erreichen wollte, also die, die man eh eben erst in der Schule gesehen hatte. ICQ steht für „I seek you“, also „ich suche dich“. Dabei machte es die Suche unnötig.

Spaß am Chatten

ICQ war der Ausweg für alle, die sich beim Telefonieren immer vertippten, Angst davor hatten, dass nicht die Freundin, sondern deren Vater abnimmt, die vor Aufregung stotterten. Vielleicht ist ICQ der Grund, warum so viele heute nicht mehr gerne telefonieren, denn es hat uns gezeigt: Musst du gar nicht! Du kannst auch einfach chatten. Macht eh mehr Spaß und geht sogar in der Nacht. Wenn die erste große Liebe ein halbes Jahr auf Schüleraustausch in den USA ist, stellt man sich einfach den Wecker auf 3 Uhr nachts, um Nachrichten auszutauschen. Und wenn alles zu überfordernd wird, kann man auch einfach einen Youtube-Link zu einer pathetischen Hardcore-Schnulze verschicken.

Irgendwann hatte selbst das schäbigste Internetcafé hinterm Hauptbahnhof ICQ auf den Rechnern. Das war häufiger mal nötig, wenn man sich beim Datentausch via ICQ irgendwelche Viren eingefangen hatte. Denn der Dienst war auch: Malware, Phishing, Mobbing. Aber er hatte eben auch animierte Emoticons, die lärmend den Screen blockierten. Der „I can’t hear you“-Typ etwa, der über zehn Sekunden lang die Finger in seine übergroßen Ohren stopft und singt. Eine wundervoll ironisches Schuldeingeständnis, wenn man einsieht, dass man berechtigterweise kritisiert wird, aber noch nicht das Format hat zu sagen: „Stimmt, das war scheiße von mir.“

Wir Jugendliche trauten uns weiter begierig an neue Technologien heran. ICQ bliebt stehen. Es war nicht bereit sich der Zukunft zuzuwenden. Erst 2009, zwei Jahre nachdem das erste iPhone erschienen war, gab es eine ICQ-App. Im gleichen Jahr wurde Whatsapp gegründet, und das arbeitete mit echten Telefonnummern, es war viel einfacher.

Foto: Jochen Tack/imago

Russisches Unternehmen

Gleichzeitig verlor ICQ auf dem Desktop gegen Facebook und Co; die ermöglichten nicht nur das Chatten, sondern eine digitale Pinnwand für Fotos, Meinungen, Bewertungen. 2010 verkaufte AOL ICQ an ein russisches Unternehmen, das später als Mail.ru-Group bekannt wurde und zu dem der propagandatriefende Facebook-Klon VKontakte gehört. Die Nut­ze­r*in­nen­zah­len lagen da nur noch bei 42 Millionen. ICQ ging den Bach runter und selbst ein verzweifelter Relaunch konnte nicht helfen.

Der Dienst hat seine Daten nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt, liegt in russischen Händen. Dort werden Menschen für ihre Inhalte auf VKontakte schon mal in den Knast gesteckt. ICQ, du mit dem niedlichen Emojis und der Jugendliebe, du, das den Absprung in die Zukunft und die freie Komunikation nicht geschafft hat. Es ist gut, dass du nun stirbst.

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Johannes Drosdowski
Redakteur Medien/Digitales
Redakteur für Medien und Digitales. Ansonsten freier Journalist und Teamer zum Thema Verschwörungserzählungen und Fake News. Steht auf Comics, Zombies und das Internet. Mastodon: @drosdowski@social.anoxinon.de
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5 Kommentare

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  • Hoffentlich folgen die anderen "Dienste" bald diesem Vorbild. Wenn die Leute erkennen, welchen Schaden das anrichtet und den kaum vorhandenen Nutzen dagegenstellen würden sich alle abmelden.



    Ich nutze nur Signal und Email, manchmal SMS. Und telefonieren kann man auch. Das reicht doch!

  • Ich habe ICQ schon vor dem Verkauf an die Russen abgewählt, kenne aber meine 8-stellige ICQ-Nummer immer noch auswendig. 😆

  • Achja, stimmt ja, es gab ja mal ICQ und co. Genau, gegen 2010 wollten alle, dass ich mir Facebook zulegte und als ich mich dazu breitschlagen ließ, war WhatsApp das Mittel der Wahl. Inzwischen hat bei Instagram in DMs sliden ja Facebook abgelöst. Hat tiktok eigentlich auch eine messenging Funktion?

  • Soweit ich mich erinnern kann, konnte man im originalen ICQ-Client ohne große Hürde auf ein Symbol klicken und per Passwortver- und -eingabe Ende zu Ende verschlüsseln. Nur benutzt haben es die Wenigsten. Zu kompliziert. Spätestens als ICQ nach Russland ging, hat es angefangen zu stinken. Warum heute fast alle bei noch größeren Stinkern chatten, liegt leider weit außerhalb meines geistigen Horizonts.

  • Es ist gut, dass du nun stirbst.

    Stimmt, denn der Artikel ruft mir in Erinnerung dass ich aus meinen Zwanzigern auch noch einen Account dort gehabt haben dürfte. Eine digitale Leiche weniger um deren Löschung ich mich kümmern muss.