: Ende einer langen Urwaldodyssee
Die beiden Frauen, die am Neujahrstag in Costa Rica entführt wurden, sind frei. Die beteiligten Angehörigen sind sich nicht einig, ob sie Lösegeld gezahlt haben oder nicht ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Braungebrannt und in scheckige Tarnuniformen gekleidet, saßen sie in einem Boot auf dem San Carlos Fluß im äußersten Norden von Costa Rica. Das waren zunächst die einzigen Bilder, die die Öffentlichkeit von Nicola Fleuchaus (24) und Regula Susanna Siegfried (50) nach deren Freilassung aus der Gewalt ihrer Entführer zu sehen bekam. Costa Ricas Polizei hat inzwischen im Grenzgebiet zu Nicaragua eine Großfahndung eingeleitet. Dabei werde mit der nicaraguanischen Polizei zusammengearbeitet.
Die beiden Kidnappingopfer wurden in den frühen Morgenstunden des Dienstag von ihren Entführern am Ufer abgesetzt und am Vormittag von Angehörigen, Pfarrer Eduardo Bolaños und Agenten des BKA abgeholt – unweit des Hotels Lagarto Lodge, wo eine Gruppe Maskierter sie am Neujahrstag verschleppt hatte. Die einzige Gegenleistung, so Costa Ricas Sicherheitsminister Juan Diego Castro, sei die Veröffentlichung des politischen Manifests der Kidnapper in den lokalen Medien gewesen.
Castro versicherte in einer Pressekonferenz, es sei kein Lösegeld gezahlt worden. Der Anwalt von Nicola Fleuchaus hingegen bestätigte Rundfunkberichte, denen zufolge die Geiseln freigelassen worden seien, nachdem ihre Familien ein Lösegeld von 200.000 Dollar gezahlt hätten. Das bestätigte auch Wolfgang Fleuchaus, der Vater der entführten Nicola, bei einer Pressekonferenz gestern im schwäbischen Reutlingen. Peter Siegfried wiederum, der Ehemann von Susanna Siegfried, erklärte noch am Dienstag in Costa Rica, es sei nichts gezahlt worden, und der von Deutschland eingeschaltete Unterhändler Eckhart Öring, ein hoher Funktionär des schweizerischen Schmidheiny-Konzerns, der in Costa Rica unter dem Pseudonym „de Mollis“ auftritt, erklärte, die Kidnapper hätten kein Geld erhalten, sondern Lebensmittel. Auf welche Version sich die Betroffenen einigen, darüber könnte eine Pressekonferenz der Freigelassenen Aufschluß geben, die diese gestern abend in San José abhalten wollten.
Staatsminister Werner Hoyer vom Auswärtigen Amt sagte gestern in Bonn, die Regierungen Deutschlands, der Schweiz und Costa Ricas hätten „nicht einen Moment lang daran gedacht, Lösegeld zu zahlen“. Das wäre schließlich eine Einladung an Verbrecher in aller Welt gewesen, deutsche Touristen zu entführen. Hoyer war in der vorletzten Woche weitgehend unbemerkt in Costa Rica gewesen und hatte sich dort dafür eingesetzt, die Verhandlungen mit den Entführern den Angehörigen zu überlassen.
Die beiden Frauen wurden nach einer Aussage vor dem lokalen Richter nach San José gebracht. Dafür hatte die costaricanische Regierung eigens Hubschrauber zur Verfügung gestellt – die beiden Frauen wollten jedoch lieber per Auto transportiert werden.
In San José kamen Fleuchhaus und Siegfried unter die Fittiche der costaricanischen Geheimpolizei OIJ und des Bundeskriminalamtes – und waren für die Medien zunächst nicht mehr zu sprechen.
Über die Identität der Gruppe, die sich nach einer 1981 im Gefängnis ermordeten Linksaktivistin „Kommando Viviana Gallardo“ nennt, und über die Hintergründe der Entführung wollte der Minister keine Auskunft geben.
Die Entführer hatten neben einer Million Dollar Lösegeld und etwa 5.000 Dollar in lokaler Währung eine Reihe wirtschaftlicher und sozialer Forderungen aufgestellt, darunter die Anhebung des Mindestlohns und ein Ende des Preisauftriebs. Ob sich hinter den Masken costaricanische Banditen verbergen, ehemalige nicaraguanische Contra-Freischärler oder eine Gruppe aus dem linken politischen Spektrum, wie das Kommuniqué vorgeben will, ist nach wie vor Gegenstand von Spekulationen. Im wilden Grenzland zwischen Costa Rica und Nicaragua, wo der Schmuggel von Vieh, Holz, tropischen Pflanzen und Urwaldtieren blüht, wo die Flüsse die zuverlässigsten Verkehrswege sind und der Arm des Gesetzes viel zu kurz und zu träge ist, kann keine Variante ausgeschlossen werden.
Die costaricanischen Behörden hegen noch einen Verdacht: Manche glauben, die Aktion könnte von einem der Opfer selbst eingefädelt worden sein, um Lösegeld von den Regierungen zu erpressen. Schlüsselfigur der möglichen Intrige: der deutsche Abenteurer Edgar Reise. Er ist mit der schweizer Reiseleiterin Susanne Siegfried gut befreundet.
Verdacht: Eine vorgetäuschte Entführung
Edgar Reise besitzt selbst eine für den Tourismus vorgesehene Liegenschaft, allerdings am anderen Ende Costa Ricas, in Golfito, an der panamaischen Grenze.
Das Grundstück hat eine bewegte Geschichte: ursprünglich gehörte es zu ausgedehnten Ländereien des mexikanischen Drogenzars Caro Quintero. Nach dessen Ergreifung Ende der achtziger Jahre wurde es vom Staat beschlagnahmt. Auf Initiative des US-Geheimdienstes CIA wurden daraufhin Stützpunkte der nicaraguanischen Contras dorthin verlagert, die Verwirrung stiften und das Regime von Panamas Diktator Manuel Antonio Noriega destablisieren sollten. Nachschuboffizier der rechtsgerichteten Freischärler war niemand anderer als Edgar Reise. Reise, soviel scheint klar, ist also gut bekannt mit jenen Kreisen, die heute für die Entführung seiner Bekannten verantwortlich gemacht werden.
Für die Verwicklung des Deutschen in die Entführung spricht, daß die Verhandlungen mit den Kidnappern in Costa Rica, Nicaragua und Panama geführt worden sein sollen. Genausogut kann es aber sein, daß der vielseitige Mann auch nur als Vermittler eingeschaltet wurde, weil er die Gegend und wahrscheinlich auch die Entführer kennt.
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