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Ende einer AutobahngeschichteLetzte Ausfahrt Michendorf

Die Raststätte am Berliner Ring wird am Montag abgerissen. Vor dem Fall der Mauer war Michendorf einer der wenigen Begegnungsorte zwischen Ost und West.

Schnief! Bild: AP

Michendorf an der Transitstrecke

TRANSIT Nach dem Bau der Mauer 1961 war das Problem des Transitverkehrs zwischen Westdeutschland und Westberlin lange Zeit ungeklärt. Erst mit der Unterzeichnung des Transitabkommens im Jahr 1971 garantierte die Sowjetunion den ungehinderten Personen und Warenverkehr. Transitstrecken gab es von Westberlin über die A 9 zum Übergang Rudolphstein/Hirschberg, über die A 2 nach Helmstedt/Marienborn sowie über die A 4 nach Herleshausen/Wartha und nach Hamburg. Die Bahn verkehrte nach Westberlin über den Kontrollpunkt Griebnitzsee. Erhalten sind heute vor allem die Anlagen an der ehemaligen Grenzübergangsstelle Dreilinden/Drewitz. In Drewitz steht außerdem der Kommandantenturm des "Checkpoint Bravo" MICHENDORF Erbaut wurden die Raststätten Michendorf Nord und Michendorf Süd 1938 im damals bei den Nazis populären Landhausstil. Zu DDR-Zeiten kam Mitte der 60er-Jahre ein Intershop dazu. Später wurde für den Shop ein zweites Gebäude gebaut. Im Intershop konnten Bundesbürger mit D-Mark einkaufen, DDR-Bürger brauchten dafür sogenannte Forum-Schecks. Die bekamen zum Beispiel die Bedienungen des Mitropa-Restaurants - als Ausgleich für das Westgeld, das ihnen Bundesbürger als Trinkgeld zusteckten. Die Preise im Restauant betrugen nur etwa die Hälfte derer in Westberlin. Das Benzin war etwa 10 Prozent billiger als im Westen.

Michendorf, Hermsdorfer Kreuz, Magdeburg-Börde – das waren für den Schriftsteller Friedrich Christian Delius „mehr als Raststätten“ auf der ehemaligen Transitstrecke zwischen Westberlin und Westdeutschland. In seinem Buch „Transit Westberlin“, das er zusammen mit Peter Joachim Lapp verfasst hat, nennt Delius die Raststätten deshalb „traurig utopische Orte, halb erlaubte, halb verbotene Begegnungsstätten zwischen Ost und West“.

Eine dieser Begegnungsstätten muss nun dem Bagger weichen. Am Montag wird die 1938 im Landhausstil erbaute Raststätte Michendorf-Süd abgerissen. Michendorf-Nord, das einst über eine Brücke mit seinem Pendant verbunden war, war schon vor acht Jahren der Garaus gemacht worden.

Grund für den Abriss ist der Ausbau der A10, des Berliner Rings, auf acht Fahrspuren. Mitverantwortlich ist allerdings auch der Denkmalschutz. Der war erst aktiv geworden, als Michendorf-Nord schon plattgemacht und der Abriss der Südgaststätte beschlossene Sache war. „Vielleicht würde man heute anders entscheiden“, räumt Marie-Luise Buchunger vom Landesdenkmalamt Brandenburg ein. Schließlich bestünden am Denkmalwert der Raststätten keine Zweifel.

Tatsächlich war Michendorf ein besonderer Ort im Berliner Umland. Für Westberliner auf dem Weg nach Helmstedt oder Hof war er die erste Autobahnraststätte der DDR. Nicht nur Schweinesteak mit Kräuterbutter für 3,95 Westmark gab es da, sondern auch direkten Kontakt zu DDR-Bürgern.

Als DDR-Tramperin, erinnerte sich Ingeborg Bannier in „Transit Westberlin“, musste man sehen, dass man erst einmal bis Michendorf kam. Neben ahnungslosen Wessis, die nicht wussten, dass es verboten war, DDR-Tramper mitzunehmen, so Bannier, „gab es aber auch politisch engagierte Studenten und westdeutsche Jugendliche, die ein Interesse hatten, Leute aus der DDR kennenzulernen und uns Tramper ganz bewusst mitnahmen.“

Michendorf war neben Hermsdorf und der Magdeburger Börde aber nicht nur Begegnungsstätte, sondern auch ein Stück Vorzeige-DDR, das das SED-Regime dem Westen präsentierte. Im Intershop bogen sich die Regale unter Schnaps, Krimskoje Schampanskoje und Zigaretten zum Schnäppchenangebot. In den Tankstellen gab es Benzin zu Preisen, die in der Rückschau tatsächlich sozialistisch waren, auch wenn der Kraftstoff bald schon wegen seiner miesen Qualität „klingelte“.

Vor allem für Westberliner und Westdeutsche war der Transit samt seinen Raststätten ein Erfahrungsraum der deutschen Teilung, wie er sinnlicher kaum sein konnte. Anders als die Mauer zeigte er nicht die Grenze, sondern das dazwischen – und ermöglichte so einen, wenn auch selektiven, Vergleich beider deutschen Staaten. Natürlich in ständiger Begleitung der Volkspolizei und der Staatssicherheit. Auch in den Gaststätten, wie F.C. Delius in seinem im Chr.Links-Verlag erschienenen Buch schreibt: „Da vermuteten die Westler in jeder Kellnerin – oft nicht zu unrecht – eine Stasifrau, da trafen sich Westbürger und Ostbürger nebeneinander am Pissbecken und fühlten sich auch da beobachtet – wahrscheinlich zu unrecht.“

Bärbel Großmann vom Heimatverein Michendorf hat die Besonderheit des Ortes schon 2003 erkannt. Kurz nachdem die Pläne für den Abriss auch von Michendorf-Süd bekannt wurden, hat die Mitarbeiterin des dortigen Heimatmuseums eine Ausstellung organisiert. „Wir haben alte Speisekarten, Fotos und viel Erinnerung zusammengetragen“, sagt Großmann. Dem Abriss am Montag sieht sie mit großer Traurigkeit entgegen, auch weil die Raststätte für sie eine persönliche Bedeutung hat. „Ich habe hier gelernt und mich später auch heimlich mit meinem Bruder getroffen. Der war zuvor in den Westen gegangen.“

So wichtig der Erinnerungsort Transit für viele – DDR-Bürger, Westberliner und Westdeutsche – war und ist: In die offiziellen Gedenkstätten- und Erinnerungskonzepte ist er bislang nicht eingegangen. Das Land Brandenburg zum Beispiel konzentriert sich in seinem „Konzept zur aktiven gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur“ vor allem auf die ehemaligen Stasi-Gefängnisse in Frankfurt (Oder) und Potsdam sowie auf das Speziallager in Sachsenhausen. Die Mauer als Symbol der Teilung, wie auch der Transit durch die DDR spielen eine eher untergeordnete Rolle.

In Berlin hat der Senat nach vielen Jahren des Nichtstuns zwar ein „Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer“ beschlossen. Dieses Konzept konzentriert sich aber im wesentlichen auf die Bernauer Straße und das Brandenburger Tor. Selbst Dreilinden, das zu den „dezentralen Orten“ im Konzept gehört, wird vorwiegend als Grenzübergang begriffen. Im Vordergrund steht einmal mehr das Grenzregime und nicht die oft schwierige Begegnung zwischen Ost und West, für die vor allem der Transit steht.

Dass es auch anders geht, zeigt der private Verein „Checkpoint Bravo“, der den ehemaligen Kommandantenturm auf der Drewitzer Seite des Grenzübergangs Dreilinden vor dem Abriss retten konnte. Zum zwanzigsten Jahrestag des Falls der Mauer soll es 2009 eine Ausstellung geben, sagt der Vereinsvorsitzende Peter Böger. „Im Turm, dem Ort der Täter, wollen wir zeigen, wie die Grenze funktionierte. Zum Beispiel wie die Tanks der Autos mit Cäsium 137 durchleuchtet wurden.“ Außerhalb des Turms aber geht es darum, wie die Grenze den Alltag der Menschen prägte. „Dabei spielt auch die Transitstrecke eine wichtige Rolle“, sagt Böger. „Der steht ja für vieles, für Flucht, Kontrolle, Begegnung.“

Manchmal aber ging die Begegnung auch daneben. „Im Sommer 1977“, erinnert sich der Ex-DDR-Oppositionelle Klaus Wolfram, „sollte es einen großen Bücherschmuggel geben“. Bei einem westdeutschen Mittelsmann hatte Wolframs Trotzkistengruppe 110 Bücher bestellt – von kommunistischen Autoren der 20er-Jahre bis zu Autoren wie André Gorz. „An einer bestimmten Kreuzung sollte der Mittelsmann das Paket ablegen, wir wollten es dann aufsammeln.“

So weit der Plan. Die Realität sah anders aus. Anstelle der Bücher wartete die Stasi auf Klaus Wolfram – und der Mittelsmann, der heute in einer Berliner Senatsverwaltung arbeitet, ging für fünf Monate in den Knast.

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