: Empörung über Waigels Finanzpläne
Nordrhein-Westfalen fordert von Bonn eine „Eröffnungsbilanz“ über den Finanzbedarf für die DDR / Bildungsnotprogramm gefährdet / Länder sollen Sonderprogramm von sechs Milliarden DM allein bezahlen ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Die nordrhein-westfälische Landesregierung wird sich an der Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit nur dann beteiligen, wenn die Bonner Regierung zunächst in einer „Eröffnungsbilanz“ den Finanzrahmen konkretisiert und gleichzeitig darlegt, welche staatlichen Ebenen durch die Vereinigung in welcher Höhe finanziell entlastet werden.
Zudem müsse die Bundesregierung den Jäger 90 endgültig stoppen, den Grundwehrdienst auf 12 Monate absenken und gemeinsam mit der Regierung der DDR die Personalstärke von Bundeswehr und nationaler Volksarmee „rasch und eindeutig“ verringern, sagte Ministerpräsident Johannes Rau am Mittwoch in Düsseldorf. Die so eingesparten Mittel müßten „vollständig für den Aufbau in der DDR zur Verfügung gestellt werden“. Nur wenn Bonn diese Forderungen erfüllt, sei Nordrhein-Westfalen bereit, an „einer einvernehmlichen Fianzierung durch Bund und Länder mitzuwirken“.
In der „Eröffnungsbilanz“ sollen der Finanzbedarf des DDR -Haushaltes, die Kosten der Anschubfinanzierung und die Kosten zur Stabilisierung der DDR-Renten in nachprüfbarer Form enthalten sein. Die bisherigen Kostenschätzungen der Bundesregierung reichen von 40 bis 60 Milliarden DM pro Jahr. Dem stehen Entlastungen durch die Vereinigung gegenüber, die Bundesfinanzminister Theo Waigel nach Raus Worten auf jährlich 40 Milliarden DM beziffert hat.
Die bisherigen Vorstellungen des Bonner Finanzministers zur Finanzierung der Einheit laufen darauf hinaus, den Anteil der Länder an der Umsatzsteuer ab 1991 erheblich zu kürzen. Bliebe es bei den Waigel-Plänen, müßte allein Nordrhein -Westfalen 1991 mit Mindereinnahmen in Höhe von etwa 5,5 Milliarden DM rechnen.
Weitere Einbußen von mehreren Milliarden kämen hinzu, wenn Bonn - wie von Rau befürchtet - das Strukturhilfegesetz (756 Millionen DM) zur Disposition stellte und sich aus der Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben nach Artikel 104 des Grundgesetzes - hier stünde ein Minus von 1,2 Milliarden pro Jahr ins Haus - im Rahmen des Vereinigungsprozesses zurückzöge.
Als erste Maßnahme droht das gemeinsam beschlossene bildungspolitische Notprogramm an den Kosten der deutschen Einheit zu scheitern. Am 21. Dezember 1989 hatten die Regierungschefs von Bund und Ländern ein Zehn-Punkte -Programm zur Verbesserung der Bildungs- und Forschungspolitik beschlossen sowie eine Arbeitsgruppe beauftragt, Vorschläge der zu treffenden Maßnahmen und deren Finanzierung vorzulegen. Seit dem 20. April 1990 liegt der Bericht vor.
Danach belaufen sich die Kosten zur Umsetzung des Zehn -Punkte-Notprogramms auf etwa sechs Milliarden DM. Neben der Stärkung der Fachhochschulen und eines Programms zur Verkürzung der Studienzeiten soll rund die Hälfte des Geldes für die „Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ ausgegeben werden.
Der „Nachwuchs“ wird darauf noch länger warten müssen, denn die Bundesregierung will ihren Anteil an dem Programm nur dann zahlen, wenn die Länder vorher der von Waigel gewünschten Neuverteilung der Umsatzsteuer zustimmen.
Dieses „Junktim“ hält Rau für unakzeptabel, denn es bedeute, daß die Länder das auf dem „Bildungsgipfel“ in Bonn gemeinsam beschlossene Zehn-Punkte-Programm „in Wirklichkeit allein bezahlen“.
In einem Brief an Kanzler Kohl hat Rau in der vergangenen Woche von der Bundesregierung verlangt, diesen Kurs aufzugeben und den Bonner Finanzierungsbeitrag endlich festzulegen, damit das Notprogramm schnell umgesetzt werden könne. Eine Antwort steht bislang noch aus.
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