piwik no script img

Empfängnishilfe

■ Renft nach 15 Jahren zurück und die erste LP von Ornament & Verbrechen BERLINERPLATTENTIPS

Die nächsten Zeilen kann sich jeder Ostler eigentlich sparen. Für den unwissenden Westler: Renft wurden 1970 (!) gegründet, erspielten sich innerhalb von vier Jahren Kultstatus, weil sie sich nicht der typischen, verquasten Ich-sag's- nicht-aber-ihr-könnt-euch-denken-was-ich-meine-Rhetorik ihrer Kollegen bedienten, sondern relativ offen sagten, was an Scheiße abging. Dann wurde es den Wächtern des real existierenden Kulturguts doch zu bunt, Renft bekamen am 22. September 1975 Berufsverbot, und Margot Honecker selbst verkündete die frohe Botschaft im Fernsehen. Die Musiker lebten von Aushilfsjobs und spielten nur noch zu privaten Anlässen. Das war zwar nicht nett für die Renfts selber, aber tat dem Kultstatus der Kombo keinerlei Abbruch.

Jetzt, nach 15 Jahren verordneter Abstinenz, gibt es Renft mit einer neuen Platte wieder. Zuerst einmal wurde eine Live-Platte mit den ganzen alten Hits veröffentlicht. Zwar sind Pannach und Kunert, die auch im Westen eine gewisse lokale Berühmtheit erlangten, nicht mehr bei der Reunion dabei, aber die Besetzung, die »1990 Live« (Fluxus-Platten, Vertrieb: in der BRD über Rough Trade, in der DDR über More Music) einspielte, hat immerhin noch vier der Urbesetzung in den Reihen.

Daß man musikalisch von Renft nicht allzuviel erwarten darf, dürfte klar sein. Von den Stones erwartet schließlich auch keiner was und deshalb sind ihnen die Leute auch immer noch so treu, und nicht mehr als diese Treue über 20 Jahre dokumentiert diese Platte. Allerdings ist es nicht uninteressant, an die berühmt-berüchtigten Kraut- Rock-Zeiten erinnert zu werden, als Birth Control versuchten, zu klingen wie Led Zeppelin, und Renft wollten wohl so klingen wie die bots, als ich gerade sieben Jahre alt war. Renft bauen in einen Song John Lennon's »Give Peace A Chance« ein und alle dürfen mitklatschen — hübsch. Hüllen wir den Mantel des Schweigens über dieses düstere Zeitalter der Musikgeschichte. Musikalisch sind Renft vielleicht nicht erwähnenswert, aber als Mahnmal für mindestens 15 verlorene Jahre Musikentwicklung eines Staates doch sehr tauglich. Außerdem ist es doch wirklich schön, daß es sie noch gibt.

Bei Ornament & Verbrechen liegen die Dinge völlig anders. Die waren schon immer Underground, bekamen zwar kein Berufsverbot, aber hatten bis vor der Wende schon allein durch ihr avantgardistisches Konzept und die offene Gruppenform (jeder darf mal, keine festen Mitglieder) keine Chance, eine Platte aufzunehmen.

Als ich Ornament & Verbrechen zum ersten Mal in einer kleinen, popeligen West-Galerie zur Ausstellungseröffnung von DDR-Künstlern sah, fühlte ich mich stark an die Westberliner Genialen Dilettanten zu Beginn der Achtziger erinnert. Damals waren Ornament & Verbrechen nur zu dritt, wechselten die Instrumente, quietschten die Verstärker, da krachte der Sound, und es war mittelgrausam, aber lustig.

Was beim Live-Auftritt noch so oft daneben ging und wohl auch gewollt chaotisch wirkte, wird auf ihrer ersten LP »On Eyes« (Hidden Records, EFA) erfolgreich zusammengefaßt, und die zwar symphatische, aber auf Dauer nervtötende Konzeptlosigkeit löst sich zugunsten einer kreativen Verwirrung auf. Die Platte riecht von vorne bis hinten nach Kunst, von der Cover-Gestaltung über das beiliegende Blatt, wo nicht etwa die Texte abgedruckt sind, sondern die Songs einzeln kommentiert werden, bis zur differenzierten und zerfaserten Musik. Ob es nun das allgemein bekannte Geniale-Dilettanten-Gedudel ist, ob die Nationalhymne der DDR als »Keilter Schwass« variiert wird oder ob sowas wie Kunst-Studenten- Heavy-Metal, dabei rauskommt, immer wissen Ornament & Verbrechen genau, was sie tun. Und das ist gut so, denn selbst wenn sie in »Kingdom Comes« schwer an Düsterrocker wie Stiv Bator's Lords Of The New Church (die übrigens ein Stück mit demselben Titel aufnahmen) gemahnen, wird das nicht peinlich, denn ihre Attitüde ist zu überlegen und selbstsicher. Sie nehmen, was sie kriegen können, eignen es sich innerhalb ihres Kunstkonzepts an und erzielen dabei erstaunlich kurzweilige Ergebnisse.

Nur selten verlieren sie sich in Soundspielereien (hier noch ein Zirpen, da noch ein Klirren), das am häufigsten aufgestellte Fettnäpfchen in diesem Genre. Die Songs sind in erster Linie Songs und gute dazu, da kann noch soviel durch Elektronik gejagte Stimme oder obskure Rhythmik was ändern. Daß Ornament & Verbrechen zudem als eine der ersten Ost-Bands in der Lage waren, ausgehend vom Konzept der offenen Künstlergruppe und dem genialen Dilettantentum, auch moderne Entwicklungen zu adaptieren, beweist ein Stück wie »Songlines«, das als Geräuschhörspiel beginnt, um dann einen fast raphaften Gesang und schwere, metallische Klänge (Gitarre kann man dazu eigentlich nicht mehr sagen) mit einem harten Computerbeat zu einem extrem tanzbaren Song zu verbinden. Und wenn die Neubauten in die Dancefloor-Charts kommen konnten, warum sollten das nicht auch Ornament & Verbrechen schaffen?

Während alle Ost-Underground-Bands, die bisher den Sprung ins kapitalistische Wasser wagten, sich entweder zu stark an westliche Vorbilder anlehnten oder nicht in der Lage waren, die Auflösung des ostspezifischen Wir-sind-gut- weil-wir-unterdrückt-sind zu verkraften, sind Ornament & Verbrechen jetzt die ersten, die es verstanden haben, DDR-typische Marotten, wie die Aufhebung der traditionellen Bandstruktur und die starke Verbindung Kunst-Musik, zu modernisieren und sich den neuen Gegebenheiten anzupassen, ohne dem Zeitgeist in den Arsch zu kriechen. Aber auch ohne diese Leistung ist »On Eyes« eine der besten Berliner Platten seit langem. Thomas Winkler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen