: Empfängnishilfe
■ DAF mit einer Neuauflage von »Die Kleinen und die Bösen« BERLINER PLATTENTIPS
»This maybe is even more up to date today«, postuliert das Inlet einer nach zehn Jahren neu aufgelegten Platte, und zumindest der Name der Band löst noch immer oder wieder ein säuerliches Lächeln aus. Auch sonst ist die Neuausgabe ihres Oevres identisch mit der ersten Auflage. Sie heißt »Die Kleinen und die Bösen«. Heute wie damals. Das Cover zieren wie einst auf einer Medaillentreppe angeordnete, prächtig blonde Sportlerinnen, auf deren Trainingsanzügen ein brustgewölbtes »CCCP« prangt. Hinter ihnen flammt im Sonnenschein die rote Fahne des ruhmreichen sowjetischen Volkes, unendliche Male wiederholt winkt sie aus der Menschenmenge von den Tribünen. Scharf schneidet in das realistisch gemalte sozialistische Sportlerinnendasein das Schwarz des Restcovers mit dem Namen der Band: als Deutsch Amerikanische Freundschaft hatten die Wuppertaler Düsseldorfer 1979 debütiert.
An den Stücken selber wurde für die Neuausgabe ebenfalls kein Deut geändert. Im Gegensatz zu den Remixes vieler Bands nit gleicher Geburtsstunde, die mit neuen synthetischen Rhythmen den Sprung in die Gegenwart tanzbegeisterter junger Menschen wagen. Was allein Sänger Gabi Delgado-Lopez in späteren Jahren mit Liasons Dangereuses und anderen Vor- und Nachfolgeprojekten zusammenspielte, macht es überflüssig zu beweisen, daß die ehemaligen Bandmitglieder wissen, was chic und modern ist.
Die Liedchen sind klein und böse. Kurz angeschnitten tauchen aggressive Garagenrhythmen auf, nur um wieder ausgeblendet zu werden. Darüber zetert und murmelt Delgados Stimme davon, daß der Osten am längsten währt, daß Erotik vorbei sei und Maschinen Spaß machen. Wenn die »heiligen kühe der popmusik« von Liebe erzählen, wird diese zu »blut und pisse«. Repetiert und repetiert werden, als sollte es Hypnose werden, einzelne Passagen auf Deutsch, Englisch und Spanisch. Manchmal klingen Text und Soundgerüst auch, als kämen sie von den benachbarten Fehlfarben. Das ist kein Wunder — verwandt und verschwägert waren damals alle miteinander.
Nur der Charme der Kollegen geht DAF völlig abhanden. Mit den »lustigen stiefeln, die über polen marschieren« haben sie böse schon ihre dritte Platte vorweggenommen. Was Robert Görl und Gabi Delgado 1980/81 dann allein aufnahmen, ist jener brachiale Schweiß- und Sex-Sound, den noch alle kennen: »geh in knie. wackel mit den hüften. klatsch in die hände. und tanz den mussolini.« Angefangen hatte alles ganz anders. Die erste, quietschgelbe, kaum bekannte Platte bestand aus sekundenkurzen Krachversuchen ohne die Machostimme Delgados. In gekonnt schlechter Tonqualität wurde abgemischt, was Schlagzeug, Synthesizer, Baß und Gitarre gemeinsam an Aggression erzeugen können. »Die Kleinen und die Bösen« sind das Bindestück in der Geschichte DAFs von der Experimentalband zur Tanzkapelle. Human Wrechords haben ein Dokument veröffentlicht, das nicht gerade »even more up to date today« ist, mit dem das Label aber wie in bester geisteswissenschaftlicher Tradition die Wurzeln eines Phänomens ausmacht. Claudia Wahjudi
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