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Emma–Fest: Tilda im Gewühl verschwunden!

■ Gedränge und viel zuviele Männer bei Emmas Geburtstag / Alice Schwarzer sprachlos vor Rührung / Was hat ein Transvestit mit Emma zu tun? / Ist die Frauenbewegung zum Karnevalsverein geworden? / „Klamauk von Feministinnen“

Aus Köln Susanne Matthiesen

Die Hose ist leider ruiniert, gnä Frau. Aber was macht das schon, wenns in drangvoller Enge auf dem Emma–Fest passiert ist. Das Symbol feiert Geburtstag, und meine Hose feiert mit. Es ist ein Wahnsinn, wie viele Frauen allein schon draußen vor den Toren der Kölner „Flora“ nach Karten anstehen. Die Schlange ist um halb acht abends bereits 70 Meter lang. Wir haben Karten, wir können uns an den Massen vorbeiquetschen. Vor uns erhebt sich ein riesiger klassizistischer Bau im Botanischen Garten. Alles ist bunt geschmückt. Der Eingang wirkt fast wie ein Hollywood–Premierenkino, nur die Leierkastenfrau paßt irgendwie nicht ins Bild, wie sie da fast wie ein Fossil an der Kurbel dreht. Tausende von Frauen in den schönsten Roben, in Pelzen, in Smokings, in Kleidern schieben sich durch den Eingang ins Innere. Der Strom reißt mit, frau muß schon mit einigen Anstrengungen nach links oder rechts rudern, um aus der Karawane auszuscheren. Die Menge ergießt sich in den großen pompösen Festsaal, wo die Kronleuchter wie reife Früchte von der Decke baumeln. Luft! Hier kann frau zum ersten Mal den Blick schweifen lassen. - Wo sind sie, die Kämpferinnen der ersten Stunde? Es ist doch ein historischer Tag. Doch das Publikum ist jung, sehr jung. Vorn an den Boxen drängeln sich die Punks, an den Seiten lehnen lässig die kühlen Blonden, und mittendrin sucht eine Hausfrauengruppe aus Koblenz lautstark nach „Tildaa!“. Aber Tilda bleibt im Gewühl verschwunden. Die Stimmung steigt, alle wollen Alice Schwarzer sehen, das eigentliche Geburtstagskind des Abends. Zehn Jahre Emma, das heißt auch zehn Jahre „konsequenter Frauenkampf“ mit einer prominenten Alice Schwarzer als wortgewaltiger Speerspitze. Zehn Jahre Emma, das heißt Stern–Prozeß, Wahlboykott, 218–Verfassungsklage und vor allem Alice Schwazer in kompromißlosem Einsatz für die Sache der Frau. Ohrenbetäubender Jubel, als sie endlich auf der Bühne steht und gewohnt souverän das Wort führt. Hinter ihr eine merkwürdig farblose und verschüchterte Frauenriege - die Emma–Redaktion. Alle mal kurz ans Herz gedrückt von ihrer Chefin, dann sind sie entlassen aus dem Scheinwerferlicht. „Es verschlägt mir die Sprache“, ruft Alice in die Menge. „So viele sind gekommen. Die Stars des Abends seid Ihr!“ Danke, sehr freundlich. Und dann gibt sie auch schon wieder die Bühne frei für die große Emma–Show. Kein Wort zum Geburtstag, keine Gedanken zu diesem historischen Ereignis. „Showtime“, brüllt die Zeremonienmeisterin Hella von Sinnen, ab jetzt wird gnadenlos Programm gemacht. Brigitte Lebaan intoniert Claire Waldoff (“Raus mit den Männern aus dem Reichstag!“), Tane Schanzara rüttelt an einem Mann auf dem Klavier (“Vadda, aufsteehn! Du mußt zur Maloche!“) und Transvestit Romy Haag zieht ihre Glamour– Nummer ab. Perfekte Inszenierungen. Hella von Sinnen schmeißt nur so mit Superlativen um sich und fragt die Künstler(innen) nach ihren Tourneedaten: „Romy, wo sollen wir alle hinkommen, wenn wir deine Show sehen wollen?“ anstatt: „Romy, nun erklär uns mal, was hat ein Transvestit mit zehn Jahren Emma zu tun?“ Das hätte interessiert. Aber davon kein Wort. Die Stimmung kippte, als „Trude Herr“ (Transi Dirk Bach) in voller Lautstärke ihr „Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann“ auf die Frauenmassen abfeuerte. Dieses „Kölner Original“ hatte schon vorher mit „Was soll ich mit der Frauenbewegung, ich bewege mich genug“ für allgemeine Empörung gesorgt. Eine Instinktlosigkeit, die nicht die einzige blieb. Auf keinem Frauenfest zuvor waren so viele Männer zugegen wie auf der Emma–Geburtstagsparty. Ungehin dert konnten sie zeitweilig den Eingang passieren, während die abgetrennten Räumlichkeiten, in denen sich der Emma–Clan samt den Künstler(innen) befand, sogar handgreiflich gegen Festbesucherinnnen verteidigt wurden. Unter das gemeine Volk mischten sich die Emmas nicht. Wenn sie kamen, dann auf die Bühne. Im langen schwarzen Abendkleid sang Alice Schwarzer „Happy Birthday“. Sie sang so krumm und schief, daß die Masse vor Rührung ganz das Mitsingen vergaß. Vereinzelt wurden Feuerzeuge und brennende Wunderkerzen hochgehalten. Als Alice jedoch ankündigte, der Stargast des Abends, die unbeschreiblich weibliche Nina Hagen, sei in ihrem blauen Bus verschütt gegangen, gab es kein Halten mehr. Tausende machten ihrem gestauten Unmut lautstark Luft. „Beim nächsten Mal steht sie hier“, versprach Alice Schwarzer und verschwand für diesen Abend auf Nimmerwiedersehen. Mit Macht drängten die Frauen aus dem Festsaal ins Freie. Dort erwartete sie schon das Fernsehteam vom WDR, um ein paar „O–Töne“ einzufangen. „Ja, es hat mir ganz gut gefallen. Man fühlt sich wohl hier“, sagte die eine. „Ich bin echt sauer, ey“, kam von einer anderen. In einer Ecke diskutierte ein Pulk Frauen, ob die Frauenbewegung bereits tot sei und sich still und leise in einen Karnevalsverein verwandelt habe, „Köln wie es singt und lacht“. „Man stelle sich mal vor, dieser Klamauk hier ist von Feministinnen inszeniert worden ...“ Gleich nebenan standen andere, für die die Emma– Geburtstagsparty das Tollste war, was sie je erlebt hatten. Es war ihr erstes Frauenfest, sie haben Alice Schwarzer live gesehen (“Die ist wirklich voller Kraft“), sie waren glücklich. Nach dem Gemütszustand von Alice konnte ich nicht fragen. Mein Vorstoß scheiterte an den Gralshüterinnen, die strikte Anweisungen hatten, niemand vorzulassen. Ein Fest für starke Nerven.

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