■ Scheibengericht: Embryo
Ibn Battuta (Schneeball/Indigo 1052-2)
Die Liste ihrer Plattenveröffentlichungen ist so lang wie der Bart des Propheten. Sie dokumentiert die langsame Verwandlung einer Deutschrockformation der ersten Stunde in ein Pionierensemble der Ethnofusion. Ihr Album, das sie zum diesjährigen Betriebsjubiläum vorlegen, faßt die Essenz aus 25 Jahren gelebter Weltmusik zusammen, indem es (fast) die ganze Embryo-Familie versammelt – und darüber hinaus noch einige Gastmusiker präsentiert, die den Weg der Musikkarawane aus Germanistan eine zeitlang begleitet haben, auch Einfluß auf die Route nahmen.
Auf ihren diversen Reisen, deren Logbücher denen des Marco Polo gleichen, haben die Embryo- Musiker den ernsthaften Versuch unternommen, nicht als Weltmusik-Abstauber daherzukommen, nicht auf die Schnelle ein paar klangliche Versatzstücke zusammenzuklauben. Das Kollektiv aus München war darauf bedacht, mit den Musikern vor Ort zumindest für ein paar Wochen auch das tägliche Leben zu teilen. Dabei vermieden sie es allerdings, sich die jeweilige Kultur als geborgte Identität überzustreifen, sondern blieben die freundlich-verkifften Underground-Musiker aus Deutschland – auch die andere Seite mußte bereit sein, sich auf ein musikalisches Abenteuer einzulassen. Deshalb blieb die Substanz ihrer Musik – ihr sessionhafter Kern – immer erhalten, egal, wie „östlich“ es auch tönte. Spontanität und die Tugend der Improvisation bestimmten den Kurs und das Herantasten und behutsame Entwickeln der Ideen das Tempo.
Ob Edgar Hofmann auf der türkischen Klarinette phantasiert und Chris Karrer dazu die arabische Laute zupft, während Chuck Henderson (Saxophon) den Geist John Coltranes aus der Flasche läßt und Marty Cook auf seiner Posaune jazzige Töne bläst – fast immer gelingt Embryo ein kleines Wunder: daß sich die Stile scheinbar mühelos zusammenfügen, obwohl doch Welten dazwischen liegen.
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