„Emanuelle“-Star Sylvia Kristel tot: Ein bisschen Emanzipation
Nach den „Emmanuelle“-Filmen wollten viele in Sylvia Kristel nur noch die gefallene, büßende Frau sehen. Eine Rolle, der sie sich verweigerte.
Sylvia Kristel ist in der Nacht zu Donnerstag gestorben. Sie litt lange an Krebs, den sie heroisch bekämpfte. Doch nach einem Schlaganfall im Sommer war die einstige Miss TV Europe zu schwach, sie starb kurz nach ihrem 60. Geburtstag.
Bekannt ist Kristel durch die Verkörperung der „Emmanuelle“ geworden, die sie in mehr als zehn Erotikfilmen über zwanzig Jahre hinweg spielte. Mit Ende 30 wurde sie allerdings als „die gealterte Emmanuelle“ besetzt, hartes Los in der Softpornoindustrie.
Kristel, die nach dem Welterfolg der „Emmanuelle“-Reihe noch in zig weiteren Erotikfilmen auftrat, die Geld verlor, sich an ältere Männer band und reichlich Kokain schnupfte, wie sie in ihrer auf Französisch publizierten Autobiografie „Nue“ bekannte, war aber nicht das hilflose Mädchen, als das weibliche Pornostars so gern inszeniert werden. Diese Inszenierung lässt sich nur durch die nicht aufgeklärte Gesellschaft erklären. Als die junge Holländerin Kristel eine Frau darstellte, die „die Liebe erfahren will“, so galt dies den SexfilmkonsumentInnen als herrlich aufregend.
Auch Medienmenschen interessierten sich für sie. Roger Willemsen nutzte mehrfach die Gelegenheit, sich im Glanze des – da zumindest schon älteren – Weltstars zu präsentieren. Auch er reduzierte die wie eine Lady agierende Schauspielerin jedoch fast ausschließlich auf ihre Sexrollen.
Abverlangtes Schamgefühl
Solange die Softpornodarstellerin attraktiv ist, ist sie ein „Vorbild“, wenn nicht ein „Symbol der Freiheit“, die bekanntlich immer einen Busen herzeigt. Bald aber ist die Frau in den Augen der ihren Körper konsumierenden Gesellschaft „zu alt“, und nun kann man die eigene Scham vor der letztendlich doch nicht angestrebten „Freiheit“ auf sie projizieren. Daher hat eine Softpornodarstellerin jenseits der 40 die Rolle der gefallenen Frau einzunehmen.
Die Gesellschaft hört gern von mittelalten, mittellosen Frauen, die betrogen wurden und betrogen, und die nun jene Buße tun, die ihnen unser Schamgefühl abverlangt. Die „Befreiung“ in den Sexfilmen (wenn es denn je eine war, angesichts der in den 70er Jahren in jedem Film üblichen Vergewaltigungsszene) wird wieder zurückgenommen – damit die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht gefährdet sind.
Die Schauspielerin Sylvia Kristel verweigerte sich dieser gesellschaftlich eingeklagten Rolle. Weiter ging ihr Emanzipationskampf nicht. Aber immerhin so weit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel