piwik no script img

Eltern nett – Kloppe stört

■ Vom Interview mit Christo bis zum Layout und Handverkauf – bei der Kreuzberger Zeitschrift „Kidsblitz“ machen Kinder und Jugendliche alles selbst

An dem großen Arbeitstisch sitzen zwei Jungen und zeichnen Comics. Die beiden Dreizehnjährigen sind die einzigen Mitarbeiter, die zur heutigen Redaktionssitzung von Kidsblitz, der Berliner Zeitschrift für Kinder, erschienen sind. Auch in den Sommerferien finden die Treffen zweimal wöchentlich statt, aber eine feste Redaktion gibt es nicht.

Einige Kinder kommen fast immer, andere nur selten. Und einmal, erzählt Projektleiter Ulf Mailänder, saß ihm eine völlig neue Gruppe gegenüber, sechs Mädchen, die von ihrer Freundin geschickt worden waren. Wer bei Kidsblitz mitmachen will, braucht weder pünktlich noch regelmäßig teilzunehmen. Schließlich sind die Kinder durch Schule und AGs schon genug verplant; hier sollen sie nicht noch zusätzlich unter Termindruck geraten. So verlaufen auch die Redaktionssitzungen im Kreuzberger Wasserturm unterschiedlich, mal herrscht eine geradezu aggressive Stimmung, die sich erst entladen muß, bevor die Kinderredaktion die Arbeit beginnt. Im Prinzip kann jedes Kind selbst bestimmen, was es machen will, aber viele wissen anfangs nicht, was sie überhaupt machen könnten. Ulf Mailänder hält sich weitgehend zurück, läßt die Kinder, wenn möglich, voneinander lernen.

Mit der Zeit entdecken die Redaktionsmitglieder ihre spezifischen Talente: Wer nicht gern schreibt oder zeichnet, dafür aber gern pingelig genau schnippelt und zusammenklebt, eignet sich vielleicht als Layouter. Andere arbeiten lieber am Computer, fotografieren oder führen Interviews. Mit Christo und Jeanne-Claude etwa, nachzulesen in der nächsten Ausgabe, die im August erscheint.

In Heft Nummer eins mit dem Thema „Grüße, Küsse, Knüffe“ überwiegt hingegen die Selbstdarstellung der MitarbeiterInnen. Anhand von Fragebögen haben sie sich und andere Kinder mit oder ohne Foto porträtiert. Herausgekommen sind kurze Texte, die viel über die Wünsche und Ängste der Kinder, aber auch über das Leben im Kreuzberger Kiez und die Familienverhältnisse der Befragten verraten: „Meine Eltern sind nett, aber mich stört die Kloppe.“

Nachdem die Kinder zunächst sehr unterschiedliche Vorstellungen hatten, wie ihre Zeitschrift aussehen sollte – manche Jungs wollten am liebsten eine Art Playboy, die Mädchen eine Bravo-Variante – enthält das kleinformatige, auf teurem Papier gedruckte Heft neben den Porträts nun Geschichten, Gedichte, Nachrichten, Comics, Witze und Kleinanzeigen. Da für die erste Ausgabe nicht genügend eigene Texte vorhanden waren, hat Kidsblitz einige schöne literarische Beiträge aus Schräge Vögel, einer Schülerzeitschrift vom Prenzlauer Berg, übernommen.

Bei der Papier- und Druckqualität wird der Redaktionsleiter in Zukunft jedoch Abstriche machen müssen: Das Bezirksamt Kreuzberg hat nur die erste Ausgabe gesponsert. Da die Herstellungskosten und die Provision für die Verkäufer den Erlös übersteigen, wird der Verlust um so größer, je mehr Hefte der 10.000 Stück starken Auflage verkauft werden.

Der Direktvertrieb ist natürlich fest in Kinderhänden. Allein in der ersten Woche haben die Kinder, allen voran der dreizehnjährige Starverkäufer Adriano, 3.000 Hefte verkauft. So lernen sie den Umgang mit Geld und können mit entsprechendem wirtschaftlichen Talent dem Lebensziel, Millionär zu werden und einen Ferrari zu fahren, ein bißchen näherkommen. Zeichner Florian, der fast sämtliche Illustrationen gemacht hat, gibt sich mit solchen Peanuts allerdings nicht zufrieden: „Ich will durch meine Comics Multimilliardär werden.“ Anne Winter

Kidsblitz: Kopischstraße 7, Kreuzberg, Tel.: 25 88-31 17, 694 95 93

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen