■ Mit Rüsselsheim auf du und du: Elite mit US-Kapital
Frankfurt (taz) – „Wenn Opel erkältet ist, hustet die Stadt“, umschreiben die Einheimischen ihr intimes Verhältnis zur Autofabrik, die den Namen „Rüsselsheim“ in aller Welt bekannt gemacht hat. „Opel ist Rüsselsheim, und Rüsselsheim ist Opel“: Das lernen hier schon die Kinder. 60.000 Menschen leben in der Stadt am Untermain. 20.000 verdienen noch heute bei der Adam Opel AG unmittelbar ihren Lohn. In den sechziger Jahren waren es noch 40.000 gewesen. Und wer die Familienmitglieder der in Rüsselsheim gemeldeten OpelanerInnen mitzählt, wie das die Stadt getan hat, der findet schnell heraus, daß rund zwei Drittel der Einwohner und Einwohnerinnen direkt oder indirekt von der Wohlfahrt der Opelwerke abhängig sind.
Adam Opel, der Gründervater, hatte 1862 in einem leeren Kuhstall eine mechanische Werkstatt eingerichtet. Unter anderem versorgte er die Frauen auf den Dörfern mit Nähmaschinen. Später kamen Fahrräder hinzu. Die Söhne nutzten dann die Erfindung des Ottomotors und begannen Atomobile zusammenzubauen. Doch – eher untypisch für die Gründerepoche der deutschen Industrie – verkauften Adam Opels Erben ihre Rüsselsheimer Fabrik schon in den zwanziger Jahren an die amerikanischen Autobauer von General Motors.
Das transatlantische Geschäft wurde vom Zweiten Weltkrieg kaum getrübt. Die Nationalsozialisten ließen das amerikanische Kapital in Ruhe – und die Rüsselsheimer durften ihrerseits sogar Flugzeugmotoren für die deutsche Luftwaffe bauen. General Motors nahm daran keinen Anstoß, solange der Gewinn nach Hause floß.
Nach dem Krieg profitierten die Rüsselsheimer vom Wirtschaftswunder, das wiederum erst mit Hilfe des Marshallplanes möglich wurde. Wer bei Opel angestellt war, gehörte zur Arbeiterelite der neuen Bundesrepublik. Oft hatten schon zwei Generationen hier gearbeitet, Opel bildete nun auch die Nachkommen aus. Was sie in der Lohntüte nach Hause brachten, reichte aus, um sich behaglich einzurichten. Aus den Häuschen, die in den ersten Nachkriegsjahren entstanden, sind durch Um- und Anbauten oft stattliche Häuser geworden.
Die Skandale der letzten Monate könnten diesen Wohlstand gefährden. Ein schlechtes Image kann Absatzeinbußen nach sich ziehen. Und weniger verkaufte Autos bedeuten weniger Gewerbesteuereinnahmen der Stadt. Doch die Not verbindet die politischen Gegner. Rüsselsheim wird von einer der seltsamsten Koalitionen der Republik regiert. Die Bürgermeisterin gehört der CDU an, ihre Stellvertreterin den Bündnisgrünen. kpk
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