■ Eisläuferin Tanja Szewczenko will sich in Nagano fürs Revuegeschäft qualifizieren: Endlich mal der Trainingsfron entkommen
Sie schien sich wirklich zu freuen, als ihr Ende 1997 in Gelsenkirchen bei einem vorolympischen Wettbewerb der Sieg über die keinesfalls schwache Konkurrenz gelang. Da lachte Tanja Szewczenko auf dem Eis, schlug sich die Hände vors Gesicht, wissend, daß alles geklappt hatte und das Preisgericht nicht an ihr vorbeikommen würde. Wenig später, kurz vor Weihnachten in Nagano zur Einweihung der Olympischen Eishalle, rückte sie, wiederum ganz oben auf dem Podest, mit dem wahren Grund ihrer Erleichterung heraus: Es war das gewonnene Preisgeld.
Wahrnehmen wollte das offenkundig niemand. Alle Welt war nur zufrieden, daß eine deutsche Eiskunstläuferin wieder bei den Besten mitläuft und eine Spur Glanz verbreitet. Die Wiedergepriesene wirkte in erster Linie froh, ihrer Familie größere Schwierigkeiten erspart zu haben. Denn, was Branchenkenner tuschelten, gab auch Tanja Szewczenko schließlich unumwunden zu: Daß die finanziellen Reserven ihrer Angehörigen sich schon vor der Saison dem Ende zugeneigt hatten.
Im vorigen Sommer war noch keinesfalls ausgemacht, daß sie zu den Olympischen Spielen wieder in guter sportlicher Verfassung sein würde. Unlust, sich im Training zu quälen, ja Faulheit warf man ihr vor. Aber seit die Szweczenko wieder erfolgreich ihren Sport versieht, wird um so tränendrüsiger die Geschichte vom siechen Mädchen erzählt, das von diversen Krankheitserregern heimgesucht wurde und dem anfänglich von keinem Arzt der Welt geholfen werden konnte.
Ausgelöscht scheint seither alles, was zwei Jahre lang über die Frau gesagt wurde, die einmal die gesamtdeutsche Nachfolgerin Katarina Witts werden sollte. 1993 begann ihre internationale Laufbahn, 1994 wurde sie Sechste bei den Olympischen Spielen, Bronze gewann sie – allerdings fehlten die Medaillenträgerinnen von Lillehammer – bei der WM in Japan. Sponsoren rannten ihr die Tür ein. Wie Franziska van Almsick stand sie schließlich bei der „Lila Kuh“ unter Vertrag – und versicherte sich auch der gleichen Managerdienste wie die Schwimmerin.
Von da an ging's bergab. Ständig fühlte sie sich schlapp, stand die meisten Sprünge nur noch doppelt, fraß so maßlos, wie es einer Eisläuferin nicht guttut und wirkte zudem noch hochnäsig. Reichte es nicht, daß sie die süße Tanja war, die allen erzählte, schon als Vierjährige davon geträumt zu haben, Weltmeisterin zu werden? Die niedliche Tanja mit Stupsnäschen und Lolita-Appeal, die so tapfer ihren Lieblingsspruch aufsagen konnte: „Nur die Harten kommen in den Garten, die Weichen unter die Eichen“?
Kurzum: Tanja Szewczenko begann der Nation erst Sorgen zu machen, dann ihr gleichgültig zu werden. Die Geschichten vom Virus, der sich ihres Körpers bemächtigte, von Leukämieverdacht und Pfeifferschem Drüsenfieber, regten niemand mehr auf. Keine Träne für die kleine Tanja, kein Mitleid mit einem Teenager, der die für sportliche Zwecke unglückliche Neigung hat, Nächte durchzutanzen und in Eisdielen Extraportionen Sahne auf dem Schokoladeneis zu ordern. Und möglicherweise einfach keine Lust, sich für ein sehr fernes Ziel zu quälen, das nicht allein mit süßem Gesichtsausdruck zu erreichen sein würde.
Vor einem Jahr muß sie schließlich, schon 19jährig, realisiert haben, daß sie ihren Sport beherrschen könnte, wenn sie nur wollte – und daß dazu Arbeit gehört. Sie wollte offenkundig nicht unter Eichen begraben werden. Also übte sie, heißt es aus dem Bundesleistungszentrum in Oberstdorf, so hart wie nie. Plötzlich stand sie auch bei ihren Sprüngen verläßlich.
Sie will Geld verdienen. Eine Medaille in Nagano wäre die beste Empfehlung für eine Eisrevue. Geld, zumal, wenn es fehlt, ist für ein Aufsteigerkind wie Tanja Szewczenko ein einleuchtendes Argument, sich doch noch Qualen zu unterwerfen. Tag für Tag Sprünge, gestürzte und gelandete. Sie wird nie so viele Millionen verdienen wie ihre US-Konkurrentinnen Michelle Kwan und Tara Lipinski. Aber es wird genug sein, wenn sie nur halbwegs wackelfrei durch die Kür kommt.
Lax werden darf sie jetzt nicht. In Mailand, bei der Europameisterschaft, hat sie eine Quittung für nachweihnachtliche Trainingsnachlässigkeit bekommen – nur der dritte Rang nach technisch makelhaften Sprüngen. Die Eislaufgemeinde der Nation mag sie; sie hat ihr sogar die Krankheitsgeschichte abgenommen. Fehler werden allerdings nicht verziehen, schon gar nicht solche, die mit Hochmut zu tun haben. Wer wüßte das besser als Tanja Szewczenko? Eine wunderbare Kür nur noch... Jan Feddersen
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