Eiskunstlauf mit Rammstein in Russland: Zensur ohne Verbot
Ein russischer Eiskunstläufer wollte zu Rammstein-Musik laufen. Warum er die Idee schnell wieder verworfen hat.
T ill Lindemann ist nun also auch in Russland ein großes Thema. Das könnte glatt meinen, wer in den vergangenen Tagen einen Blick auf die großen Sportportale des Landes geworfen hat. Dort schaut der Sänger der Band Rammstein den Surfenden mit einer seiner finsteren Kostümfratzen ins Gesicht.
Doch es geht nicht um den Frauenverbrauch und den damit verbundenen Machtmissbrauch, der ihm hierzulande vorgeworfen wird, es geht um Zensur. Rammstein und Till Lindemann spielen dabei keine aktive Rolle. Wer eine aktive Rolle spielt, ist ohnehin nicht klar in diesem Fall aus der hoch politisierten Welt des Eiskunstlaufs.
Es geht um das neue Kurzprogramm des russischen Eiskunstläufer Pjotr Gumennik. Als es russischen Athleten und Athletinnen noch erlaubt war, bei internationalen Wettbewerben zu laufen, war er noch Junior und hat etliche Erfolge eingefahren. Mit dem Ausschluss des russischen Sports nach dem Angriff auf die Ukraine kennt man ihn nur noch in Russland.
Dort gehört er weiterhin zur Elite und das in Russland immer große Publikum war gespannt auf das neue Kurzprogramm des aktuellen Vizemeisters, das er bei einem Testwettbewerb der besten Läufer des Landes zeigen wollte. Doch er zeigte es nicht. Er lief das Programm aus dem Vorjahr. Und hier kommt Rammstein ins Spiel.
Umstrittene Sonne
Gumennik hatte ein Kurzprogramm zum Titel „Sonne“ von Rammstein eingeprobt und es auch schon öffentlich gezeigt. Doch ein paar Tage vor dem Wettbewerb am Sonntag in Moskau war seinem Trainerteam ein Brief zugestellt worden, in dem er dazu aufgefordert worden sei, zu einer anderen Musik zu laufen. So stellte es seine Trainerin Veronika Daineko dar und präsentierte eine E-Mail, in der jemand beim Sportministerium anmahnt, dass diese unangebrachte Musik gefälligst nicht abgespielt werden solle. Das Wort Zensur machte die Runde.
Doch weder das Sportministerium noch der russische Eiskunstlaufverband wollten bestätigen, dass sie Gumennik den Rammstein-Song verboten haben. Gleichzeitig ließ der russische Sportminister Oleg Matyzin keinen Zweifel daran zu, dass Musik von Rammstein nichts auf russischem Kunstlaufeis verloren hat. „Man sollte verantwortlicher an die Auswahl seiner Musik herangehen“, wird er auf der Seite des Sportsenders Match TV zitiert. Man ist sich also einig darüber, dass das Lied nicht gespielt werden soll, mag aber nicht von einem Verbot sprechen. Den Rammstein-Song wird Gumennik also nicht mehr spielen.
Dessen Geschichte passt auch so gar nicht zum russischen Eiskunstlaufsport, der ja traditionell ein riesiger Propagandazirkus ist. „Sonne“ wurde einst als Kampfsong für die ukrainischen Gebrüder Klitschko geschrieben, als die beiden noch als Schwergewichtsboxer unterwegs waren.
„Maximaler Schlag gegen Russland“
Dass der Song einst für den heutigen Bürgermeister von Kyjiw geschrieben wurde, mögen Gumennik und seine Berater nicht gewusst haben. Jetzt ist die Geschichte des Lieds in aller Munde und der 21-jährige Eiskunstläufer wird sich hüten, noch einmal in der Lindemann-Maskerade aufs Eis zu laufen, so wie er es bei den Proben schon getan hat.
Politiker der Staatsduma finden derweil weitere Argumente gegen den Rammstein-Song. Sultan Khamzajew, Abgeordneter aus Dagestan, erinnerte daran, dass derzeit viel über ein anderes Ramstein geredet werde, den Nato-Stützpunkt in Deutschland, von dem aus „Russland der maximale Schlag“ versetzt werden solle. Auch deshalb solle man sich gut überlegen, welche Musik man spielen wolle.
Und die ehemalige Eisschnellläuferin Swetlana Schurowa, die heute für die Kreml-Partei Einiges Russland in der Staatsduma sitzt, will Gumennik zwar keinen Vorwurf machen, dass er die Musik ausgewählt hat, findet es aber besser, wenn er es nun ohne Rammstein probiert, sonst habe er es die ganze Saison über mit Vorwürfen und Beleidigungen zu tun. Niemand hat also den Rammstein-Song verboten. Dass es sich verbietet, dazu Schlittschuh zu laufen, ist dennoch klar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid