: Einzig auf die Berliner Polizei war wieder einmal Verlass
■ Mehrere tausend Landwirte und Atomkraftgegner forderten Bundeskanzler Schröder zum Atomausstieg auf. Während die Demo friedlich verlief, hatten Berliner Polizisten zuvor an der Stadtgrenze einen Trecker mit Biokartoffeln beschlagnahmt
Die Landwirte aus Gorleben haben ihre Drohung wahr gemacht: „Gerhard, wir kommen.“ Mit 100 Traktoren sind die Bauern aus dem niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg in Berlin eingerückt, um von der rot-grünen Bundesregierung am vergangenen Samstag den sofortigen Atomausstieg zu fordern.
Es war ein bewegendes Bild, als die mit provokanten Transparenten geschmückten Landmaschinen bei der „Stunk-Parade“ über die Straße des 17. Juni rollten, auf der bis zur Wende die Militärparaden der Alliierten stattgefunden hatten. Nur leider war die Beteiligung an der bundesweiten Großdemonstration weniger als gering. Von den erwarteten 10.000 AKW-Gegnern waren höchstens 5.000 gekommen, 1.000 davon hatten die Bauern selbst mitgebracht.
„Die Ländler haben den Großstädtern gezeigt, wie man Politik macht“, brachte ein Berliner Demoteilnehmer seine Eindrücke auf den Punkt. Nicht nur die Traktoren konnten sich sehen lassen. Vom offenen, klapprigen Oldtimer-Trecker, Baujahr 1947, bis zur gläsernen High-Tech-Kabine der Jahrtausendwende waren fast alle Fabrikate vertreten. Die großen Traktoren hatten die kleinen beim Treck nach Berlin Huckepack auf die Laderampe genommen, weil diese die Stadt sonst wohl niemals erreicht hätten.
Auch die Transparente und Requisiten sorgten für Jubel und Applaus: Auf einem Anhänger wurden die „unerfüllten Wahlversprechen“ mitgeführt, auf einem anderen stopften die Attrappen von Bundeskanzler Schröder und Wirtschaftsminister Müller gerade den Umweltminister Trittin in ein Klo.
„Fällt ein Bauer tot vom Traktor, ist in der Nähe ein Reaktor“, hieß es auf einem Transparent. Unter den Linden wurde ein mit Bildern von Schröder beklebter Spielball von vier grauen Atomfässern mit der Aufschrift Siemens, Veba, RWE und Bayer hin und her gekickt.
Dass mit ihnen nicht zu spaßen ist, hatten die Bauern schon beim letzten Castor-Transport ins Wendland gezeigt, als sie mit 500 Traktoren eine Zufahrtstraße zum Zwischenlager blockierten.
Auf der Abschlusskundgebung am Samstag wurde klar, dass sich daran auch unter einem grünen Umweltminister nichts ändern wird: „So sicher wie der Frühling auf den Winter folgt, stehen die Bauern mit ihrem Trecker auf der Straße, wenn sich eine Atomschweinerei dem Wendland nähert“, sagte Wolfgang Eisenberg von der bäuerlichen Notgemeinschaft. „Damit das klar ist, haben wir weder Kosten noch Mühe gescheut und unser Geschirr hier auffahren lassen.“
Diskutieren werden die Bauern nun über die Frage müssen, ob die geringe Beteiligung an der Demonstration an der schlechten Mobilisierung lag oder ob die Anti-AKW-Bewegung am Boden liegt.
Einzig auf die Berliner Polizei, die schon bei den Castor-Transporten nach Gorleben und Ahaus als Knüppelgarde in Erscheinung getreten war, war wieder einmal Verlass. Am Freitagabend, kaum an der Stadtgrenze angekommen, wurde der Treckerkonvoi von Berliner Beamten gefilzt.
Zwei weitere Durchsuchungen bis zum Demobeginn am Samstag sollten folgen. Ein Anhänger mit Biokartoffeln wurde beschlagnahmt. Bei der Durchfahrt durch Sachsen-Anhalt und Brandenburg habe sich die Polizei sehr korrekt verhalten, erzählt ein Bauer. „Nur von den Berliner Bullen sind wir wie verkappte Terroristen behandelt worden.“ Plutonia Plarre
Reportage Seite 11
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