piwik no script img

Einzeltäter-These erschüttertDutschkes Attentäter und die Nazis

Aus der Auswertung von Stasi-Akten und Polizeiprotokollen geht hervor, dass der Dutschke-Attentäter vor 40 Jahren Kontakte zu gewalttätigen Neonazis hatte. Das erschütterte die bisherige Einzeltäter-These.

Verletzter Attentäter: Josef Erwin Bachmann wird von der Feuerwehr abtransportiert, nachdem die Polizei ihn (nach seinem Attentat auf Dutschke) angeschossen hatte. (Archivaufnahme vom 11.4.1968) Bild: dpa

BERLIN dpa/taz | Berliner Polizeiprotokolle und bisher unbekannte Stasiakten geben neue Informationen über den Dutschke-Attentäter Josef Bachmann. Demnach unterhielt Bachmann enge Beziehungen zu einer rechtsradikalen Gruppe, die später als "Braunschweiger Gruppe" durch Sprengstoffanschläge bekannt wurde. Das berichtet der Spiegel. Trotz mehrerer Hinweise in den Vernehmungen hätten die Ermittler damals diese Zusammenhänge nicht konsequent aufgedeckt.

Bisher galt der Hilfsarbeiter Bachmann, der den Studentenführer Rudi Dutschke 1968 niederschoss, als Einzelgänger. Der Attentäter nahm sich 1970 in der Haft das Leben. Bei seiner Festnahme hatte er einen Artikel über Dutschke aus der rechtsextremen "Deutschen National-Zeitung" bei sich gehabt.

Laut Spiegel verkehrte Bachmann in seinem zeitweiligen Wohnort Peine unter anderen mit dem früheren NPD-Mann Wolfgang Sachse, der mit ihm das Schießen geübt und ihm Schusswaffen und Munition verkauft habe. Mit seinen Gesinnungsgenossen habe Bachmann zuvor Anschläge auf die innerdeutsche Grenze verübt und dabei auch auf DDR-Grenzer geschossen. Sogar ein Attentat auf den damaligen DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht habe er geplant.

Auch der Dutschke-Biograf Ulrich Chaussy thematisiert für ein Radiofeature diese neuen Informationen. Sie würden, sagte Chaussy der taz, zwar nicht die grundsätzliche Bewertung des Attentats in Frage stellen, aber durchaus Fragen aufwerfen: "Warum zum Beispiel wurde Sachse weder befragt noch vorgeladen? Er hätte überprüft werden müssen als einer, der als Waffenlieferant in Frage kommt." Ziel der Ermittler aber sei es gewesen, "die rechtsextreme Motivation zu individualisieren".

Bachmanns Leben war im vergangenen Sommer wieder zum Diskussionsthema geworden, als der Westberliner Kriminalbeamte Karl-Heinz Kurras als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der DDR-Staatssicherheit entlarvt wurde. Kurras hatte 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschossen.

Kurras ungeahnte Vergangenheit warf die Frage auf, ob auch Bachmann im Dienst der Stasi gestanden haben könnte. Laut der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gibt es aber keine IM-Akte über Bachmann.

Stasi-Minister Erich Mielke aber ließ nach den Schüssen auf Dutschke Material über Bachmann sammeln. Einiges davon hat die Stasi-Unterlagenbehörde schon vor Jahren in Kopien zu Forschungszwecken herausgegeben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

13 Kommentare

 / 
  • BM
    Bernardo Markowsky

    "Uticensis: ...das kann ich als Nachgeborener auch nicht nachvollziehen."

    Die erste Betonung liegt auf ich, die zweite auf auch.

    Wozu auch nachvollziehen, was irgendwie immer so weitergeht - und sich dann auch noch irgendwann als Geschichte aufbauscht. Ja, was soll uns das?

    Ist Nachgeborener eigentlich Eigenname, eingetragene Firma oder ne website? Muss man dafür nicht Nutzungsrechte bezahlen? Vor- und Wiedergänger Kohl hatte es als Spätgeborener auch schon schwer (Gedächtnisschwäche mit Schuldverzagen), jetzt ziehen zu allem zu spät Geborene nach.

  • D
    denninger

    ...und meiner Oma ist am 19.05.1967 ein Sack Reis umgefallen...

  • U
    Uticensis

    Die heutige Relevanz dieser Tat (und wer und wie da im Hintergrund mal mit wem zu tun hatte) - das kann ich als Nachgeborener auch nicht nachvollziehen.

     

    Ich wundere mich eher, wie es kommen konnte, dass jemand, der so einen gequirlten Unsinn und so zusammengelesenes Zeug mit solchem überernsten Pathos verbreitet hat wie Dutschke, überhaupt ernst genommen wurde. Und warum er demgemäß überhaupt Gegner und Feinde hatte, die sich sogar zum Mord entschließen konnten.

     

    Gegnerschaft, die nach dem Leben trachtet, ist ja eigentlich ein Indiz für die eigene Wirkmächtigkeit. Das geht hier nicht auf. Hier ist es eher folie à deux (oder à plusieurs).

  • D
    denninger

    Ja ja, "Gladio" und der deutsche Ableger "Heimattreue Jugend" (oder so ähnlich). Ich habe ja nicht behauptet, meine Aufzählung sei abschließend oder ausgewogen.

    Aber was hat die Deutsche Geschichte wohl mehr beeinflusst?

    Dass Rainer Barzel nicht Bundeskanzler wurde(dank MfS) und Brandt später zurücktreten musste (dank HVA) oder dass in den 50ern ein paar blöde Alt- und Neonazis im Wald Krieg mit US-Waffen gespielt haben?

    Aber egal...

    "Andreas" muss ich widersprechen: Anders als in Frankreich war halt keine "Explosion" einer "aufgeladenen Stimmung" zu befürchten. Die deutschen Studenten konnten sich nie mit der Arbeiterschaft vereinigen. Und Berlin stand immer noch (bitte nicht vergessen) unter alliierter

    Verwaltung.

    Aber merkt ihr, wie sich ein jeder mit diesen dürftigen Informationen (MfS-Akten sind erst einmal keine glaubhaften Belege) eine eigene Theorie zusammenbastelt um sie dann voll überzeugt als "historische Wahrheit" (der Begriff ist so schlecht dass er schon wieder gut ist) herauszubrüllen (siehe "Bild").

    Also gut, ich wollte auch einmal "enthüllend" tätig sein und habe mir meine "historische Wahrheit" zusammengebaut:

    Am 04.01.1968 Hat der Alexander Dubcek in Prag die Macht übernommen.

    Im März 1968 war der Rudi mit seiner Gretel in Prag auf Nachbarschaftsbesuch.

    Am 05.04.1968 beschloss die KPC ihr Aktionsprogramm. Da war allen anderen Staaten im Warschauer Vertrag klar, dass dort wohl Schicht ist mit Weltrevolution und Internationaler Solidarität. Und wie geht man am Besten mit ungezogenen Renegaten um?

    Erst einmal von ihren Freunden und Verbündeten isolieren, dann noch eine Schonfrist gewähren und wenn es immer noch nicht klappt kommt halt doch die Bestrafung.

    Also weil der Rudi ja schon in der DDR Ärger gemacht hat und jetzt im "Schaufenster des Westens" herumpolitisiert und sich offensichtlich hinter die Prager Reformen stellt könnte der noch gewaltig Stress machen.

    Andererseits ist er tot besser als lebendig weil das Westberlin ja ins Chaos stürzen könnte.

    Vor allem wenn es "die Nazis" waren.

    Also klar, die Stasi und der KGB haben am 11.04.1968 auf den Rudi schießen lassen.

    Beweis: Der Erich Mielke ließ sich nach dem Attentat die Akten über den Täter vorlegen um sicher zu gehen, dass da keine Verbindung zum MfS nachweisbar ist. Und 1970 wurde der Bachmann dann zu gefährlich und man hat ihn zum Suizid "überredet". Also, Fazit ist doch, dass Ohnesorg und Dutscke vom MfS beseitigt wurden. Und damit der Aufruf an alle: Schnappt euch die SED-Erben! Sie haben Dutschke und Ohnesorg auf dem Gewissen!

    Toll, was? (SCNR)

    PS: Selbstverständlich ist das alles pure Fiktion und ich entschuldige mich bei allen Persönlichkeiten welche sich von mir verunglimpft fühlen. (Peinlich, dass ich das noch extra schreiben muss.)

     

    Aber ungefähr in diesem Stil ist das von „Melaleuca Alterenifolia“ bejubelte Buch geschrieben. Das ist Harry Potter für Verschwörungsfanatiker.

  • MA
    Melaleuca Alterenifolia

    Buchtip:

     

    Daniele Ganser- Nato Geheimarmeen in Europa

     

    Spannungsstrategie aufklären!

  • F
    Fawkrin

    @ Denninger

    Was willst Du eigentlich? Doch wohl nicht einen Journalismus, der historische Ereignisse hinterfragt, als sinnlose Spekulationen verunglimpfen?

    Die von Dir zusammengetragenen Fakten sind mir im wesentlichen bekannt und gestatte mir eine Ergänzung: Nach dem 2. Weltkrieg haben US-Geheimdienste faschistische Gruppen militärisch ausgerüstet und geschult um notfalls eine demokratisch gewählte kommunistische Regierung stürzen zu können. Das diese Gruppierungen später Terroranschläge (z. B. Bologna) verübte, gilt wohl als Kollateralschaden.

     

    @ Justyn

    Kannst wohl nicht zwischen politischen und unpolitischen Kontakten unterscheiden?

  • A
    Andreas

    Rechtsextremisten waren gerade in dieser Zeit einer extremen Unterwanderung durch Geheimdienste ausgesetzt und die haben gerade bei diesem Klientel eine sonderbare Politik betrieben.

    Es würde mich nicht wundern, wenn einige der Kameraden selber Zuträger des VS oder eines anderen Dienstes waren. Und das ist m.M. auch der Grund, warum die Polizei nicht im Umfeld recherchieren wollte. Bei der aufgeladenen Stimmung hätte es eine Explosion ausgelöst, wenn ruchbar geworden wäre, dass Bachmann in Geheimdienst-infiltrieten Kreisen Schießen geübt und sich mit Hass und Gewaltbereitschaft aufgesogen hat. Ich denke, wenn das rauskommen würden, dann wäre auch dieses Attentat noch weitaus dramatischer als es damals sowieso war. Der extrem intolerante Umgang mit den Studenten und das Schweigen der Gesellschaft über eine ganze Armee von NS-Tätern war ohnehin schlimm genug - dieser Aspekt würde da doch eine andere Komponenten ins Spiel bringen.

  • J
    Justyn

    Der Attentäter hatte auch Kontakten zu einigen Postboten und Brötchen Verkäufern, steckt dahinter viellicht doch eher eine extremistische Postboten-Brötchenverkäufer-Gang?

  • V
    vic

    An den Bemühungen, rechtsnationale Strafträter zu "individualisieren", hat sich nichts verändert.

  • D
    denninger

    Ach, "Fawkrin" und "Dottore", Ihr redet von "Schlüsselereignis der Geschichte" und der aufzudeckenden "Wahrheit" und begreift nicht die Sinnlosigkeit der Spekulationen.

    Dass der B. Kontakte zu den Rechten pflegte war doch schon damals bekannt.

    Wenn im Fall Dutschke über mögliche Verschwörungen theoretisiert wird muss folgerichtig auch der Tod von Benno Ohnesorg eingehender und unter Beachtung aller Hypothesen betrachtet werden.

    Kommt dabei denn überhaupt etwas raus außer Thesen ohne belegte Argumente?

    Fast bin ich versucht zu sagen: "OK, die NPD hat den Dutschke angeschossen, dafür hat die Stasi den Ohnesorg umgebracht".

    Es geht doch gar nicht um die Taten selbst sondern wie mit den Opfern und den Taten seitens der Behörden und der Öffentlichkeit umgegangen wurde.

    Im Klartext:

    Der Skandal war nicht der Tod Ohnesorgs sondern wie die Behörden den Tathergang vertuschten.

    Der Skandal war nicht das Attentat auf Dutschke sondern wie in den Medien zuvor gegen ihn gehetzt wurde.

    Also, um dieses große Wort "Wahrheit" nicht weiter in den Dreck zu ziehen und für persönliche Ansichten und Spekulationen zu missbrauchen stelle ich einfach meinen Standpunkt dar:

    Es ist letzten Endes egal ob Kurras im Auftrag des MfS oder Bachmann im Auftrag der NPD schoss, das Verhalten der Behörden und der Medien gaben den Taten die politische Dimension.

    Und Du, "Fawkrin" willst eine "kritische Recherche" und die Aufdeckung der "Wahrheit"? Na, da wirst Du noch ins Staunen kommen wer sich alles in die politische und soziale Entwicklung der Bundesrepublik und Westberlins eingemischt hat.

    Das MfS und die HVA waren da nur zwei von vielen. Willst Du Stichworte dazu?

    Aufnahme von Terroristen in der DDR; Barzel- und Guillaume-Affäre; "Maison de France"; "La Belle"; Fälschungen zu Lasten von Kiesinger, Schleier und anderen; Einfluss auf die "Landshut"-Entführung, Entsendung von Soldaten und Kampfflugzeugen nach Syrien um gegen Israel Krieg zu führen

    Das war jetzt, pardon, nur ein Teil einer Seite.

    Die USA verstanden es ganz gut, Adenauer ins Amt zu schieben und dort zu halten. Der Bau der Mauer war ihnen schon im Vorfeld des 13.August 1961 bekannt.

  • F
    Fawkrin

    @ Denninger

    Auch so lassen sich Rechtsextremismus, Stalinismus, Spionage und staatliche Intrigen verharmlosen. Die Wahrheit gehört ans Licht und nicht in den Reissack Ihrer werten Großmutter.

    Deutschland braucht einen Journalismus, der die Verbindungen zwischen den genannten Aspekten durchleuchtet und kritisch recherchiert.

  • D
    Dottore

    @denninger: Solche Kommentare hat es im SPON-Forum zu der besagten Meldung haufenweise gegeben, dennochuach hier: Das Attentat auf Rudi Dutschke ist und bleibt ein Schlüsselereignis in der jüngeren deutschen Geschichte. Dass viele Führungspositionen in Politik und Wirtschaft mit alten Nazis besetzt waren, hat die Entwicklung der Bundesrepublik maßgeblich beeinflusst. Man war halt auf dem rechten Auge blind. Aber wem schon 1967 der Sack Reis seiner Oma auf die Birne gefallen ist, ist vermutlich in Sachen Politik völlig schmerzfrei.

  • D
    denninger

    ...und meiner Oma ist am 19.05.1967 ein Sack Reis umgefallen...