Einzelhandelkrise in den USA: Die große Leere
2017 gilt jetzt schon als Niedergangsjahr des US-Einzelhandels. Dieser leidet unter der Konkurrenz aus dem Internet.
Ein wenig auf die Tränendrüse drücken hilft der Sache sicher, müssen sich die Anwälte des Spielzeughändlers Toys R Us Ende Oktober gedacht haben, als sie den Brief des neunjährigen Andrew vorlasen, der die Insolvenzrichter bat, das strauchelnde Unternehmen zu retten. Mit Erfolg: Toys R Us darf nach der Insolvenz im September weiter versuchen sich selbst zu sanieren. Doch das wird schwer. 5 Milliarden Dollar Schulden hat das Unternehmen in den vergangenen Jahren angehäuft.
3,2 Milliarden Dollar hat es seit der Zahlungsunfähigkeit eintreiben können. So bleiben die mehr als 1.600 Geschäfte weltweit in der so wichtigen Vorweihnachtszeit geöffnet, aber Experten bezweifeln, dass das Unternehmen saniert werden kann, ohne dass Standorte geschlossen werden müssen.
Die Spielwarenhaus-Kette ist das jüngste Opfer der Einzelhandelskrise in den USA. Schon jetzt gilt 2017 unter Marktbeobachtern als das große Niedergangsjahr der „Brick and Mortar“(Ziegelstein und Mörtel)-Branche. Der Kaufhaus-Riese Sears hat seit Jahresbeginn 180 Filialen geschlossen. Konkurrent JC Penney gab im selben Zeitraum 138 Standorte auf. Die Elektrofachmarktkette RadioShack hat in diesem Jahr ebenfalls Insolvenz angemeldet und sogar 1.000 Filialen geschlossen. Von ehemals mehr als 7.300 Standorten bleiben nur noch etwa 70 Filialen übrig. Auch vor der Modebranche macht die Einzelhandelskrise nicht halt. Im September kündigte die Bekleidungskette GAP an, in den kommenden drei Jahren 300 Filialen zu schließen. Der US-Einzelhandel kollabiert. Wie konnte das geschehen?
Die Pleite von Toys R Us erfolgte mit Ansage. 2005 kaufte ein Konsortium um den Finanzinvestor Bain Capital das bis dahin an der Börse gehandelte Unternehmen auf und finanzierte die 6,6 Milliarden Dollar teure Übernahme mit Krediten, die auf das Unternehmen übertragen wurden. Die daraus resultierende chronische Verschuldung hinderte die Unternehmensführung an dringend notwendigen Investitionen.
Toys R Us verpasste die Entwicklung
Doch verhängnisvoller dürfte für Toys R Us – und den Einzelhandel allgemein – die Konkurrenz aus dem Internet sein. Laut Zahlen des auf den Spielwarenmarkt spezialisierten Consultingunternehmens Klosters Trading ist Toys R Us mit einem Marktanteil von 21,7 Prozent nur noch die Nummer zwei im Spielzeugverkauf. Mit einem Marktanteil von 23,5 Prozent ist der Onlineversandhändler Amazon der Branchenprimus. Wie viele andere Alltagswaren bestellen US-Amerikaner auch Spielzeug offenbar mittlerweile vorwiegend im Internet. Eine Entwicklung die Toys R Us verpasste. Der Onlineauftritt des Spielwarenunternehmens wirkt lieblos und veraltet.
Auch die großen Kaufhausketten und Modeunternehmen werden derzeit von Internetversandhändlern aus dem Geschäft gedrängt – mit schwerwiegenden Folgen für den US-amerikanischen Arbeitsmarkt. Mit jeder geschlossenen Einzelhandelsfiliale gehen Dutzende, manchmal Hunderte Arbeitsplätze verloren. 448.000 Arbeitsplätze sind laut dem US-Amt für Arbeitsmarktstatistik zwischen 2002 und 2016 im Einzelhandel verloren gegangen. In diesem Jahr dürften die Zahlen noch einmal drastisch steigen – jeden Monat gehen aktuell etwa 9.000 weitere Jobs verloren. Dem gegenüber stehen 178.000 Arbeitsplätze, die in der E-Commerce-Branche entstanden sind. Der Onlinehandel benötigt weit weniger Personal als Ladengeschäfte und kann deshalb Waren auch günstiger anbieten. Selbst in profitablen Offlinebranchen, wie dem Lebensmittelhandel, gehen Jobs verloren, weil zum Beispiel Kassensysteme automatisiert werden.
Beobachter bezeichnen die Entwicklung als dramatisch. Jobs im Einzelhandel sind mit einem durchschnittlichen Stundenlohn von 11 Dollar ohnehin schlecht bezahlt und werden oft von ungelernten Arbeitskräften verrichtet, die in vielen anderen Branchen kaum Chancen auf Einstellung hätten. 2014 arbeitete knapp jeder zehnte US-Amerikaner in der Brick-and- Mortar-Branche. Es geht um etwa 15 Millionen Arbeitsplätze.
In den Branchenportalen im Internet rätseln die Analysten, wie die Abwärtsspirale des Einzelhandels gestoppt werden könnte. Von einer stärkeren Regionalisierung der großen Einzelhandelsketten bis hin zur Spezialisierung auf besondere Produkte werden unzählige Konzepte diskutiert. Für derartige Nischengeschäfte wird allerdings weit weniger, dafür aber qualifizierteres Personal benötigt. Große Lösungen sind branchenintern nicht erkennbar.
Eine politische Antwort von höchster Ebene ist bisher ebenfalls ausgeblieben. US-Präsident Donald Trump hat sich bisher noch nicht öffentlich zur Krise im Einzelhandel geäußert. Stattdessen versicherte er öffentlichkeitswirksam den US-Kohlearbeitern seine Hilfe. Dort sind allerdings laut einer Berechnung des Branchenportals Business Insider in den vergangenen fünfzehn Jahren lediglich 15.000 Jobs verloren gegangen. Allein die Kaufhauskette Macys will im laufenden Jahr rund 10.000 Mitarbeiter entlassen.
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