Einsturz des Kölner Stadtarchivs: Bürgermeister in Erklärungsnot
Nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs versucht der Stadtrat, die Verantwortlichkeiten zu klären. In die Kritik gerät dabei zunehmend der Oberbürgermeister Fritz Schramma.
KÖLN taz Je mehr sich die Schockstarre nach dem dramatischen Einsturz des Historischen Stadtarchivs in Köln löst, desto lauter werden die Fragen nach der politischen Verantwortung für die Katastrophe, die zwei Menschen das Leben gekostet hat. Zunehmend gerät dabei Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) in die Kritik. SPD, Grüne und Linke werfen ihm vor, er schiebe seine politische Verantwortung beiseite und habe der Öffentlichkeit wichtige Fakten vorenthalten.
Die Menschen hätten in den letzten zwei Wochen "verstört erleben müssen, dass es die eigentlich untrennbare Verbindung zwischen Spitzenposition und Verantwortung in Köln nicht mehr gibt", sagte SPD-Fraktionschef Martin Börschel am Donnerstagabend auf einer Sondersitzung des Hauptausschusses im Kölner Stadtrat. "Sie haben dem Amt des Oberbürgermeisters geschadet."
Durch solch ein Verhalten "geht auch das Vertrauen in die Politik und die Führung der Stadt verloren", kritisierte Grünen-Fraktionschefin Barbara Moritz. Man habe die U-Bahn immer "schöngerechnet" und den Kölnern durch falsche Versprechungen "Sand in die Augen gestreut", kritisierte sie. "Jeder, der damals im Stadtrat zugestimmt hat, muss auch bereit sein, heute Verantwortung zu übernehmen", forderte Moritz.
Die ersten beiden Grundsatzbeschlüsse für den Bau der neuen U-Bahn-Strecke fasste der Rat 1992 und 1996. Als einzige Fraktion stimmten seinerzeit die Grünen dagegen. Sie hatten für eine oberirdische Lösung plädiert, die kostengünstiger und sicherer gewesen wäre. 2002 hatten sie jedoch den Vorschlag der Verwaltung gebilligt, den Kölner Verkehrs-Betrieben (KVB) die Bauherrenschaft aus steuerlichen Gründen zu übertragen: "Ich frage mich, ob wir da eine Organisationsform der Unverantwortlichkeit beschlossen haben", meinte Moritz selbstkritisch: "Dass letztlich diejenigen sich selbst beaufsichtigen, die beaufsichtigt werden sollen, ist keine sinnvolle Struktur."
Fest steht, dass über das Milliardenprojekt zwar im Vorfeld viel diskutiert wurde, dann aber wurde es still in der Stadtpolitik. Hausbesitzer, die Setzrisse feststellten, wurden lange Zeit nicht wahrgenommen. Es waren zu viele. Rund 400 Gebäudeschäden soll der Bau der U-Bahn bereits verursacht haben. Selbst als ein Kirchturm umzukippen drohte, vermittelte die KVB stets den Eindruck, sie habe alles im Griff. Kritische Fragen wurden "abgebügelt". Dass an der Severinstraße Probleme mit Grundwasser aufgetreten sind, dass man trotz Forderungen von Gutachtern auf die Einschaltung eines Sachverständigen für Bauschäden verzichtet hatte, erfuhren die Politiker erst nach dem Unglück.
Einer der wichtigsten Streitpunkte dreht sich derzeit um die Frage, wer zu welchem Zeitpunkt von den zusätzlich gebohrten Grundwasserbrunnen an der Severinstraße gewusst hat. Die von den KVB beauftragte Arbeitsgemeinschaft dreier Baufirmen hatte die Zahl der Brunnen ohne Genehmigung von vier auf fünfzehn erhöht, statt der erlaubten 450 Kubikmeter Wasser pro Stunde wurden bis zu 750 Kubikmeter abgepumpt.
Schramma hat eingeräumt, im Krisenstab bereits am 12. März davon erfahren zu haben. Erst drei Tage später ließ er die Öffentlichkeit informieren. Die Entnahme von Grundwasser ist heikel, weil der Boden dadurch in Bewegung geraten kann. Dies könnte auch die Ursache für das Unglück gewesen sein.
"Schramma mauert massiv", kritisierte Linken-Fraktionschef Jörg Detjen. Wichtige Unterlagen habe er tagelang zurückgehalten. Der Oberbürgermeister betreibe dadurch "in doppelter Hinsicht Intransparenz".
"Ich habe die Öffentlichkeit immer umgehend informiert", wies Schramma auf der Hauptausschusssitzung die Kritik zurück. Ansonsten nahm er zu den Vorwürfen aber keine Stellung. Dafür sprang CDU-Fraktionschef Granitzka in die Bresche. In der Ausschussdebatte gehe es offenbar darum, "jetzt schon festzulegen, wer die oberste Verantwortung hat". Er warne jedoch vor "vorschnellen Schlüssen".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance