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■ Einst war die ETA in Spanien ein Symbol für den Kampf um Demokratie. Heute bombt sie wahllos und ist isoliertKein Arafat in Sicht

Auch die baskischen Separatisten von ETA wollen im Wahlkampf für den 3. März mitmischen. Und das auf ihre Art. Am Dienstag wurde der Spitzenkandidat der sozialistischen Regierungspartei PSOE in Guipuzcoa, Fernando Múgica, erschossen, am hellichten Tage, mitten im Zentrum San Sebastiáns. Der 61jährige Anwalt und Parlamentsabgeordnete hatte weder im Baskenland noch in Madrid jemals öffentliche Ämter innegehabt, die eine solche Tat auch nur im entferntesten nachvollziehbar machen könnten. Und im Gegensatz zur Nummer eins der PSOE in der anderen Baskenmetropole, in Bilbao, Txiki Benegas, fiel sein Name nie im Zusammenhang mit dem schmutzigen Krieg der staatlichen Antiterrorgruppe GAL in den achtziger Jahren gegen ETA-Flüchtlinge in Südfrankreich. Einzige Schuld Múgicas: Er war entschieden gegen Gewalt und Terrorismus, und er zählte sich zu den engen Freunden von Regierungschef Felipe González.

Viele Menschen sind fassungslos. Und das in Bilbao, der Stadt, die noch vor wenigen Jahren als Hochburg der ETA-nahen Partei Herri Batasuna (HB) galt.

Waffen statt freier Wettstreit der Meinungen – an der ETA-Strategie wird die Kritik im Baskenland immer lauter. Und längst sind die Kritiker nicht mehr nur außerhalb des linksnationalistischen Lagers zu suchen. Die ETA-Strategie ist ein Rückschlag für jede Politik, die auf Verhandlungen oder Dialog setzt, so die Meinung einer wachsenden Minderheit innerhalb der ETA-nahen Partei HB. „Unser Kampf ist Ausdruck der Konfrontation zwischen dem Baskenland und dem spanischen Staat“, hält ETA dem lapidar dagegen. Immer weniger Basken wollen dies nachvollziehen. Laut Umfragen steht heute ein Drittel der 160.000 HB-Wähler (13 bis 15 Prozent im Baskenland) dem bewaffneten Kampf kritisch bis ablehnend gegenüber, bei Attentaten gegen Politiker sind es doppelt so viele. Die Folge: deutliche Stimmenverluste für die HB. Bei den letzten Europawahlen verlor die Wahlkoalition gar den einzigen Sitz in Straßburg. Die Stimmen aus den anderen Teilen Spaniens, die vier Jahre zuvor den Einzug ins Parlament ermöglichten, blieben fast gänzlich aus.

Über 30 Jahre währt der Konflikt um die Freiheit des Baskenlandes nun schon. 800 Menschenleben forderte der Kampf der ETA. Die studentische nationalistische Jugend löste sich in den fünfziger Jahren allmählich von der Exilregierung der nationalistischen Partei (PNV) im benachbarten Frankreich. Zu lasch war ihnen deren Widerstand gegen Diktator Franco. Sie suchten neue Vorbilder und fanden sie in der Entkolonialisierung Algeriens und der kubanischen Revolution. Ein Bombenanschlag auf einen Zug mit Bürgerkriegsveteranen voll besetzten Sonderzug 1961 war der Auftakt eines Kampfes, der dem Franquismus einige der härtesten Schläge seiner Geschichte verpaßte. Höhepunkt dieses Kampfes war die Bombe 1973 gegen Admiral Blanco, designierter Nachfolger des kränkelnden Diktators. ETA wurde so in ganz Spanien zum gefeierten Symbol für den Kampf um Demokratie.

Doch das ist Geschichte. Heute ist der Isolierungsprozeß von ETA nicht mehr aufzuhalten. Die Einführung des baskischen Autonomiestatuts 1979 ist zwar vielen noch immer zuwenig, aber immerhin bietet es die Möglichkeit, mit demokratischen Spielregeln mehr Unabhängigkeit zu erlangen. Schwere Verhaftungswellen bringen ETA zusätzlich in Bedrängnis. Die Organisation reagiert mit militärischer Logik. Präsenz beweisen, und zwar um jeden Preis – das scheint das Motto der geschwächten Separatisten zu sein.

Die Anschläge in den letzten Jahren sprechen Bände. Zu den Opfern gehören längst nicht mehr nur Generäle, so wie früher, sondern niedrige Chargen der Sicherheitskräfte, ja selbst Zivilangestellte des Militärs, wie bei einem Anschlag im Dezember in Madrid. Die Kommandos greifen zu einer neuen Taktik, die für sie selbst ungefährlicher ist: Sie „arbeiten“ mit Autobomben, die sie fernzünden oder mit einem Zeitauslöser zur Explosion bringen. Die erste wurde 1987 im Parkhaus in der Filiale der französischen Supermarktkette Hipercor in Barcelona abgestellt, sie kostete 21 Menschen das Leben. Neben französischen Einrichtungen sind Kasernen oder vorbeifahrende Militärfahrzeuge vorrangige Ziele. Über die Hälfte der Opfer sind zufällig am Tatort anwesende Zivilisten.

Das weiß auch ETA. Darum kommen sie nur außerhalb Euskadis, wie die Basken ihr Land nennen, zum Einsatz. Denn das Leben baskischer Zivilisten scheint mehr zu wiegen als das spanischer Zivilisten. Eine Logik, die immer mehr an Nordirland erinnert, wo ein Menschenleben auf beiden Seiten des Zaunes, der die Ghettos trennt, nichts wert war und ist – mit einem Unterschied: Die Bevölkerung Madrids und anderer spanischer Großstädte hat sich, anders als viele der nordirischen Protestanten, den Krieg nicht ausgesucht.

Immer mehr Menschen in Euskadi gehen nach den Anschlägen auf die Straße. „Dieses Volk will den Frieden!“ steht auf den Transparenten zu lesen. ETA wechselt ihre Strategie trotzdem nicht. Der harte Flügel innerhalb der Organisation und in ihrem politischen Umfeld schließt die Reihen. Bei einer Umbildung des HB-Vorstandes vor wenigen Monaten wurden die letzten Kritiker rausgeschmissen. Der Rest sieht nur eine Lösung für „den historischen Konflikt zwischen Euskadi und dem spanischen Staat“: Amnestie für die über 600 Gefangenen aus den Reihen von ETA, den Abzug aller spanischen Polizei- und Militäreinheiten und ein Autonomiestatut mit der Möglichkeit zur vollständigen Unabhängigkeit – und all das nur nach direkten Verhandlungen zwischen ETA und dem spanischen Staat. Bis dahin „darf das Baskenland zur Verteidigung seiner Souveränität alle Formen des Kampfes einsetzen“, heißt es in einer Resolution der HB. Und die zunehmende gesellschaftliche Isolierung? Ist nur ein Produkt der Repression und Propaganda des spanischen Staates, so die simple Analyse der Linksnationalisten.

Es ist sicher richtig, wenn aus HB-Reihen immer wieder der schmutzige Krieg der GAL in den 80er Jahren, die alltägliche Repression in Euskadi, Folter und Mißhandlungen in den Gefängnissen und Kommissariaten als Beweis für die unflexible Haltung der Regierung angeführt werden. Und es stimmt auch, daß Madrid keinen Jitzhak Rabin hat. Aber richtig ist auch, daß die baskischen Nationalisten um ETA weit davon entfernt sind, einen Jassir Arafat oder einen Gerry Adams in ihren Reihen zu haben. Reiner Wandler

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