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Einschränkung der Einschränkung

Das Sozialhilfegesetz der DDR  ■ G A S T K O M M E N T A R

Zweifellos wird es in Zukunft - in etwas fernerer Zukunft vielleicht - vielen Menschen in diesem Land nach und nach immer besser gehen. Ebenso unzweifelhaft ist aber, daß es vielen anderen im Laufe der Zeit schlechter gehen wird. Die Tatsache, daß Sozialhilfeempfänger zukünftig einen großen Anteil der Bevölkerung ausmachen werden, ist für die DDR ein neues Phänomen. Sozialhilfe wird Lebenshilfe sein, und wir müssen den Umgang damit lernen. Im Rahmen der schon vom Runden Tisch durchgesetzten Sozialunion wird in dieser Woche von der Volkskammer in zweiter und letzter Lesung das Sozialhilfegesetz behandelt. Dieses Thema ist ebenso notwendig wie bedrückend. Menschen, denen gesetzliche Unterstützung zusteht, müssen dazu ermutigt werden, sie selbstbewußt in Anspruch zu nehmen. Diese selbstverständliche Inanspruchnahme allerdings wird durch die im Gesetz festgelegte Praxis erheblich erschwert.

Vor der Zuerkennung nämlich muß der Antragsteller seine und seiner Angehörigen Ersparnisse und Besitz bis auf ein Minimum aufbrauchen, den Rest der Behörde offenlegen und sich zu beliebigen kommunalen Arbeiten ohne Arbeitsvertrag verpflichten: statt unverschuldeter Erwerbslosigkeit wird chronische Arbeitsscheu unterstellt.

Ausgangspunkt für die Erarbeitung des vorliegenden Gesetzentwurfs ist das Bundessozialhilfegesetz. Nun sollte man meinen, in der DDR-Version dieses Gesetzes würden die entstehenden zusätzlichen Härten für DDR-Bürger entsprechend stärker aufgefangen. Aber die Regelsätze für die Berechnung sollen „unter dem durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelt unterer Lohngruppen“ liegen. In Zeiten drohender Massenarbeitslosigkeit also sollen in der DDR wesentlich niedrigere Regelsätze gelten als in der BRD. Im übrigen soll unterschieden werden zwischen „Haushaltsvorstand“ und „sonstigen Haushaltsangehörigen“. Mit der Wiedereinführung dieser Spezies wird ganz nebenbei noch das Patriarchat restauriert und jede nichteheliche Lebensgemeinschaft diskriminiert.

Auch der im Bundessozialhilfegesetz vorgesehene Katalog für Hilfen in besonderen Lebenslagen ist ganz entscheidend gekürzt worden. So fehlen Hilfe zum Aufbau und zur Sicherung der Lebensgrundlagen, Hilfe zur häuslichen Pflege, Hilfe zur Weiterführung des Haushalts im Pflegefall, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und die Altenpflege. Die möglichen Folgen kann man sich leicht ausmalen...

Das Sozialhilfegesetz ist bitter nötig. Aber man muß wissen, daß es sich dabei um ein schmerzstillendes Medikament für eine Krankheit handelt, die keine individuelle ist, sondern eine gesellschaftliche. Therapie und Prophylaxe sind nur auf andere Weise möglich. Dazu gehören arbeitspolitische und wirtschaftliche Entscheidungen über Dauer und Höhe der Erwerbslosenbezüge. Anteile am Volksvermögen haben auch damit zu tun, denn Eigentumsfragen sind Sozialfragen.

Marianne Birthler

Die Autorin ist Volkskammerabgeordnete des „Bündnis 90“.

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