: Einsames Klötzchen Mensch
Abstrakt und nicht immer bedingungslos Sehnsucht gebietend: Julia Wellners Meeresfotos in der Galerie 11
von Petra Schellen
„Sehnsuchtsorte“ ist die Schau betitelt. Wurde ästhetisierend in Foyer und Cafeteria gehängt, um, allenfalls leicht abstrakt, den Daheimgebliebenen (aber hoffentlich nicht zu schwer Arbeitenden) eine kleine Reminiszenz dessen zu zeigen, was ihnen derzeit abgeht: des Urlaubs, insbesondere des Aufenthalts in an verschienden Enden der Welt befindlichem kühlem Nass: Ein ganz klein wenig auf Oskar Schlemmers Anonymgestalten geschielt hat die 1969 in Braunschweig geborene Fotografin Julia Wellner, deren Bilder unter dem Titel „Senteur de Mer“ derzeit in den Räumen der „Galerie 11“ des Gruner+Jahr-Pressehauses ausgestellt sind.
Gesichtslose, unscharfe, wie mit Siebdruck aufgetragene Gestalten steigen da aus Schwimmbädern, die oft aber bloß an Mauern grenzen; niemand weiß, in welchem Wohlfühl-Paradies sie sich denn wohl trocknen werden. Ist eben nur eine Momentaufnahme, der berühmte quasi-atmosphärische und zugleich beliebige Spot. Als großer wässerner Teppich kommt das Blau im Vordergrund solcher Fotos daher; leicht in die Abstraktion verdreht ist das per Lochkamera auf Papier gebannte Südeuropa-Ambiente.
Gefällig und für Laufpublikum gut verkraftbar wirken diese Fotoserien, denen die Künstlerin allerdings ganz am Ende einige deutlich weniger Sehnsucht erweckende Tupfer aufgesetzt hat: Vereinsamte, zwischen grünen Mülltonnen am Strand sitzende Menschlein sind in der Serie „mar“ zu finden; keiner weiß, ob sie Mond oder Sahara bevölkern. Niemand begreift, warum er sich sehnen sollte nach bis zur Abstraktion unfassbar weitem Weiß auf einem Planeten, dessen einziger Bewohner er womöglich ist.
Einsam trabt anderswo ein Paar des Wegs, verloren sitzt ein Kind zwischen Strommasten und Basketball-Körben: Collagenartig in fremde Landschaft gesetzt wirken die Protagonisten, und den Göttern scheint es letztlich egal zu sein, ob da Menschen auf dem Boden sitzen oder leblose Materie, ob es abstrakt ist oder konkret, was die Künstlerin geschaffen hat.
Beliebig wirkt auch die leichte Perspektivverschiebung beim nächsten Motiv hin zur vielleicht sogar ganz leicht lächerlichen Szene eines im Strandzelt liegenden Mannes, von dem man nur die Füße sieht: Süffisant wirken diese Fotos, Verlorene auf einer unbegriffenen Erde hat die Fotografin abgelichtet, hat Menschen zu winzigen, irrelevanten Pünktchen im All degradiert.
Doch zum Glück hat das niemand bemerkt oder sie gar auf sich bezogen, die fahl an unauffälliger Wand platzierten Fotos; leise und feengleich kichernd verkünden sie den temporär wichtig Scheinenden ihre defätistische Botschaft. Eine winzig kleine Freude, die ein Quentchen tiefer reicht als die licht sich gegen den Himmel reckende Kirche der Reihe „Images de uma noite“ – obwohl auch sie sehr deutlich vergänglich ist: Nicht mehr lange wird sie existieren, schon durchdringt ihr Weiß das umgebende Himmelsblau, gar bald wird das Flimmern sie aufgesogen haben. Wie uns alle vermutlich, eventuell mit Rumpf und Stumpf.
Julia Wellner: Senteur de mer. Mi–So 15–18 Uhr, Galerie 11, Gruner + Jahr Pressehaus; bis 24.8.
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