: Einsam sind die meisten
■ Der Beruf des Tennisprofis: Traum oder Alptraum?
P R E S S - S C H L A G Wer da glaubt, daß Tennisspieler einen Traumberuf haben, liegt bestimmt nicht falsch. In der Tat leben jene, die in diesem sportlichen Industriezweig ihr professionelles Dasein fristen, fernab von der Wirklichkeit des sogenannten Normalbürgers.
Allerdings haben Träume so eine Eigenart: man kann sie sich nicht aussuchen. Die guten kommen genauso eigenwillig daher wie die schlechten. Spitzenspieler wie Lendl, Becker, Graf oder Navratilova haben in dieser Hinsicht eine gute Schicksalsgeste erfahren. In der Öffentlichkeit ständig geführte neidvolle Diskussionen um die horrenden Jahreseinkommen der Tennisstars bestätigen dies eindrucksvoll.
Allerdings wird hierbei sehr gern vergessen, welchen Preis die Sportler (und das sind sie ja wohl noch in erster Linie) dafür bezahlen müssen. Ein Anrecht auf Privatsphäre haben sie schon lange nicht mehr. In das offizielle Spielerhotel während eines großen Turniers trauen sie sich auch nicht mehr hinein.
Auch bei den French Open weiß keiner genau, wann Graf und Becker angekommen sind und wo sie wohnen (bzw. wohnten...). Restaurantbesuche auf den Champs-Elysees zum Beispiel können höchstens einmal ihrem jugendlichen Leichtsinn entspringen und enden in aller Regel in Fangeschrei und Blitzlichtgewitter.
Kein Wunder also, daß diese Idole unserer Zeit um alles in der Welt bemüht sind, so oft es nur geht, die eigene Familie mit auf Reisen zu nehmen. Oder einen guten Freund, sollte es den denn tatsächlich für sie geben. Ein kleiner Trost ist das, wenn man sein Zuhause mit um den Globus schleppen muß. Sicherlich aber kein Ersatz dafür, daß man das Normalste in der Welt, nämlich regelmäßige soziale Kontakte, eben nicht „besitzt“.
Ein anderes, um so schwierigeres Los haben die unzähligen, weniger bekannten Tennisspielerinnen und -spieler. Sie kämpfen nicht nur Runde für Runde ums Weiterkommen, sondern auch für ihre Existenz. Jedes Turnier, das Weltranglistenpunkte bringen könnte, wird gespielt. Wenn immer möglich, beziehen diese Spieler Privatquartiere, die von den Turnierveranstaltern zur Verfügung gestellt werden. Das ist halt billiger. Kommt dann schon nach der ersten Runde das Aus, packt man schnell seine Sachen zusammen und eilt zu einem anderen Turnier, irgendwo auf der Welt. Vielleicht kommt man ja dort noch in die Qualifikationsrunden. Vielleicht.
Sieben oder acht Monate am Stück auf Tour und von den Eltern entfernt - das ist keine Seltenheit bei denen, die es im Tennis noch zu etwas bringen wollen. Für sie ist das, was andere Menschen als einen schönen Traum empfinden, längst zum Alptraum geworden: um die Welt jetten, Leute und Hotelzimmer kennenlernen. Die Kraft dazu müssen sie immer wieder selbst aufbringen, denn: Freundschaften zwischen den Spielern sind äußerst rar gesät. Zu oft steht man sich auf dem Platz gegenüber und muß sich für einige Stunden verabscheuen, ja, spieltechnisch vernichten. Derlei Gefühle lassen sich nicht so einfach nach dem Spiel abschütteln.
So sieht man auch in diesen Tagen in Paris viele enttäuschte Spielergesichter. Wenn nach wochenlangem hartem Training der Weg von der ersten Spielrunde direkt zum nächsten Flughafen führt, kann man wirklich verstehen, warum hier so viele Tränen fließen. Tennisprofis - ein Traumberuf? Kaum. Hier ist sich jeder der Nächste. Einer gegen alle, und alle gegen einen. Einsam sind die meisten.
Ralf Stutzki (Paris) Achtelfinals, Herren:
Henri Leconte (Frankreich) - Andrej Tschesnokow (UdSSR) 6:4, 6:3, 4:6, 2:6, 6:3; Thomas Muster (Österreich) - Martin Jaite (Argentinien) 7:6, 6:3, 6:2; Thierry Champion (Frankreich) - Karel Novacek (CSFR) 6:3, 4:6, 3:6, 7:6, 6:3; Goran Ivanisevic (Jugoslawien) - Niclas Kroon (Schweden) 6:2, 6:4, 7:5; Viertelfinalpaarungen: Svensson - Leconte, Agassi - Chang, Champion - Gomez, Muster - Ivanisevic.
Viertelfinals, Frauen:
Steffi Graf - Conchita Martinez (Spanien) 6:1, 6:3; weitere Begegnungen: Novotna - Katerina Malejwa, Fernandez Capriati, Manuela Malejwa - Seles
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