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Einsam in der fremden roten Welt

Der Hamburger Ingo Schultz läuft bei den Deutschen Meisterschaften der Leichtathleten in Wattenscheid allen davon. Weitspringerin Bianca Kappler wird Vierte und hofft auf die geplante Leichtathletikhalle – Senat entscheidet im Herbst

Nach 120 Metern war er in seiner eigenen Welt. Ingo Schultz war allein mit der Uhr, die nach 400 Metern bei 44,97 Sekunden stehen blieb. Andere Gegner hatte er nicht, als er in Wattenscheid zum deutschen Meistertitel rannte. 1,24 Sekunden blieb der zweitplatzierte Dautzenberg hinter dem Vizeweltmeister, dessen Auftritt selbst den Sieg von Laufbahnmodel Sina Schielke zur Randnotiz verkommen ließ. Die gewann die 100 Meter, als Schultz noch auf der Laufbahn auf und ab ging, sich setzte, wieder aufstand und seinen Trainer umarmte. Die Medienmeute folgte ihm. In seine Welt. Ingos Welt.

Bezeichnend ist, welche Farbe diese Welt hat. Sie ist rot. Denn Schultz gewinnt seine Rennen im roten Trikot der LG Olympia Dortmund. Dabei verbringt er die meiste Zeit des Jahres in Hamburg, als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bundeswehr-Universität, Fachbereich Elektrotechnik. Dass die Dortmunder Presse ihn trotzdem regelmäßig zum westfälischen Regionalhelden stilisieren kann, liegt an der leichtathletischen Infrastruktur Hamburgs. Jürgen Krempin, Trainer von Schultz und gleichzeitig Hamburger Landestrainer, fällt dazu nur ein Wort ein: „Provinziell.“

Das soll sich bald ändern. Hamburg soll eine Leichtathletikhalle bekommen, 10 Millionen Euro soll sie kosten und im nächsten Jahr gebaut werden. Noch sei das Ganze nicht völlig sicher, der Senat werde im September über die Halle entscheiden, sagt Krempin. Mit einer solchen Halle, ausgestattet mit einer Rundbahn, ließen sich nicht alle, aber das Hauptproblem der Hamburger Leichtathletik beheben. Denn sobald im Winter das Wetter schmuddelig, kalt und damit gefährlich für die hochsensiblen Athletenkörper wird, verziehen sich die Sportler im Westen, Osten und Süden der Republik in ihre Trainingshallen. Nur in Hamburg gibt es keine solche Halle. In der einzig verfügbaren liegt Linoleum statt Tartan.

Hamburg stellt derzeit sieben Athleten des Leichtathletik-Bundeskaders. Fast alle sind Langstreckenläufer, die auch im Winter unter freiem Himmel ihre Kilometer abreißen. Und die dabei keine Angst vor Verletzungen haben müssen, weil sie keine schnellen, ruckartigen Bewegungen machen wie Sprinter, Werfer oder Springer. Die gibt es kaum in Hamburg, denn wer in diesen Disziplinen Talent zeigt, wandert meist früh ab, sucht nach besseren Trainingsmöglichkeiten. Zwar gehört die Weitspringerin Bianca Kappler vom Halstenbeker TS zur deutschen Spitze. Doch ihre Leistungskurve zeigt, was eine Halle ausmacht: Im Winter springt Bianca Kappler ihren Kolleginnen regelmäßig hinterher, weil sie nur wenig trainieren kann. Im Sommer springt sie vorn mit.

Am Wochenende in Wattenscheid hat dies nicht ganz geklappt: 6,45 m sprang sie, erreichte einen mageren vierten Platz und darf trotz der drei besser platzierten Konkurrentinnen doch an der EM in München teilnehmen. Eine wie sie wird schwer in Hamburg zu halten sein, wenn die Leichtathletikhalle im nächsten Jahr doch nicht kommt. Zwar studiert sie in Hamburg, doch stehen im Westen der Republik ein paar Argumente herum, die für einen Wechsel sprechen: Hallen, reine Leichtathletikhallen. Eine davon steht in Dortmund und sie steht allen Athleten der LG Olympia offen. Auch dem Hamburger Vizeweltmeister Ingo Schultz.CHRISTOPH HICKMANN

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