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Eins zu Eins ins Gehirnkasterl

■ Etwas fürs Herz: 120 Tage von Bottrop von Ablaßhändler Christoph Schlingensief

Wim Wenders sieht inzwischen aus wie eine Comicfigur, die in Schulbüchern mit Sprechblasen den deutschen Film erklärt und benimmt sich auch so. Margarete von Trotta findet jetzt Gefallen an der Oper und melkt aus ihr die ganze mögliche Trutschigkeit einer zu groß gewachsenen Hausfrauenerotik. Alexander Kluge ist Alexander Kluge. Werner Herzog ist in der Geschehenslosigkeit dem Vergessen anheimgefallen und ebenso Werner Schroeter. Nur Fassbinder ist tot.

Glück gehabt, sollte man denken. Der einzige verbliebene Held deutscher Filmkunst ist ein Haufen Wurmfraß. Zeit für ein Requiem also. Eines, mit dem man gleich den ganzen deutschen Autorenfilm mit ein-sargt. Ablaßhändler Schlingensief, der erste Teeniestar der Post-Boris-Becker-Generation, hat sich als Herold einer neuen deutschen Filmbeschreibung den Funeralien zugewandt und in angeblich fünf Tagen die 120 Tage von Bottrop gedreht. Ein Pasolini etwa? Etwas Ernsthaftes? Ein Kunstwerk?

Natürlich. Etwas fürs Herz. Mit Jesus „Wuttke“Schlingensief, der Lothar Emmerich um 9000 Mark anschnorrt, damit er sein Remake des grausamen Klassikers auf dem Potsdamer Platz fertig drehen kann. Mit Kurt Raab, der wieder lebt, weil er gerade eine Chemotherapie gegen Aids macht. Mit dem Astro-Physiker Stephen W. Hawking, der das Drehbuch für den Blockbuster geschrieben hat, von dessen radauhaft scheiternden Dreharbeiten dieser Film handelt. Mit Christoph Schlingensief, der in Hollywood gemeinsam mit Udo Kier nach Helmut Berger sucht und sich den Hirntumorstrahlen eines Handys aussetzt. Und mit der Resttruppe ehemaliger Fassbinder-Schauspieler, die den Mullbinden inhaltlicher Ratlosigkeit entkommen sind und sich deswegen erfolgreich gegen die Anamnese als filmische Mumie wehren können: Irm Herrman, Volker Spengler und Margit Carstensen.

Soviel Résistance gegen die neue deutsche Ordentlichkeit und die alte deutsche Ernsthaftigkeit kann natürlich nur von einem biersauren Moralisten kommen, der sich deswegen nur der infantilsten Mittel bedienen kann. Und so ist der Film dann eben auch. Zitate schrecklich entstellt, Dialoge schrecklich gepeinsackt und Ideen schrecklich unmittelbar herausgehauen. Wunderbar also, und mit Musik von Helge Schneider. Natürlich, das Prinzip ist dasselbe geblieben, seit Alfred Edel im Deutschen Kettensägenmassaker die Wendewut mit der Fleischerschürze besungen hat, seit in Terror 2000 der Neonazi zum lustvollen Plagegeist der Björn-Engholm-Freiheit wurde und in Schlingensiefs Afrika-Exkursion Die Spalte die Inszenierung des deutsch-kolonialistischen Libidoschimmels zu Skandalberichten in der Four-Letter-Word-Presse geführt hat: Ignoriere das Tabu, damit du nicht immer lächeln mußt, wenn es dir miserabel geht. Das versteht die große Zivilisation der Masken nicht immer und geht dann auf die Dampferfahrt zu den sonnigen Inseln des Kopfschüttelns.

Und nun ist wieder das Entrinnen gefragt, denn dieser Film stellt die ganzen Störgeräusche einer professionellen Filmproduktion eins zu eins ins Gehirnkasterl. Schauspieler, die nicht mehr wollen, Regisseure, die nie konnten, Produzenten, die immer nur am Pimmel zutzeln oder gezutzelt bekommen wollen, und Diven, die auf keine seriöse Idee mehr warten, sondern jeden Blödsinn mitmachen. Diese Rolle spielt hier Helmut Berger, der als Stargast mit geilem Hochmut der Albernheit die napoleonische Geste verleiht.

Die ganze falsche Bescheidenheit und Erotik in Plastikfolie der deutschen Filmbranche wird gleich zu Beginn zum Gespött, wenn die wirren Gestalten dieses Werkes die deutsche Filmpreisverleihung mit Kanther, Schimanski und Konsorten im Fernsehen betrachten und ihr alles Zeremoniell mit Häme stehlen. Und nach dieser Ouvertüre wird ordentlich weiter eingekloppt auf die umrahmte Vergangenheit des deutschen Films – mit Kenntnis und Zufallsgenerator, wild, schnell und hemmungslos. Kein Familienfilm, kein Testament der 70er für irgendwelche Filmfestspiele, aber ein Unterhaltungsfilm für die Kinder von Murx und Kackaoke. Also für Helmut Kohl und Arnold Schwarzenegger.

Kees Wartburg

Metropolis, Fama

Das Fama zeigt außerdem eine kleine Schlingensief-Retrospektive mit „100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker“(20. und 21. Nov.), „Das Deutsche Kettensägenmassaker – Die erste Stunde der Wiedervereinigung“(22. und 23. Nov.) und „Terror 200 - Intensivstation Deutschland“(28. und 29. Nov.), jeweils 22.45 Uhr

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