: Einmischung ausdrücklich erwünscht
Achtzehn Wahlen in diesem Jahr. Weil die Matadore unsere Sinne und unseren Verstand mit geistlosen Materialschlachten zu beleidigen drohen, veranstaltet die taz den „Wahlkampf-Wettbewerb“ zur Veredelung der verkommenen Wahlkampfkultur.
„Superwahljahr“, das heißt auch Dauerwahlkampf. Was wird dieser Marathon der Parteienpropaganda bringen? Annonciert wird uns, dem Publikum, eine „Schlammschlacht“. Die ersten Kostproben wurden bereits in Gestalt des Versuchs verabreicht, tote und lebende Sozialdemokraten der Kollaboration mit der SED zu bezichtigen und darüber die von allen Parteien getragene Ostpolitik seit den sechziger Jahren zu diskreditieren.
Weiteres Unheil droht, wenn die CSU ihre Ankündigung wahr macht, die „Überfremdung“ zu thematisieren, um Rechtswähler bei der Stange zu halten oder zurückzuholen.
Auf der anderen Seite bekundet die SPD pauschal, die Regierung habe „abgewirtschaftet“, weist aber in zentralen Fragen immer wieder auf ihre „völlige Übereinstimmung“ mit der Bundesregierung hin. Die Sozialdemokratie will sich offenbar auf den „Genossen Trend“ verlassen und die sanfte Macht der Demoskopie wirken lassen.
Das ursprünglich geplante Fairneßabkommen ist nicht zustande gekommen, die dafür ausersehenen Kirchen- und Gemeindevertreter haben sich zurückgezogen. Es droht eine geist- und würdelose „Materialschlacht“ der Parteiapparate, deren Manager an den Sinn ihres Tuns selber nicht mehr glauben. Sie werden uns mit Briefwurfsendungen und Fernsehspots verfolgen, deren politische Qualität gegen null tendiert, die darüber hinaus oft eine Beleidigung der Sinne bedeuten und keinesfalls dem Imperativ kreativen Sparens gehorchen.
Wir behaupten dennoch: Wahlkampf kann auch anders sein – nämlich eine kompetente und faire Auseinandersetzung der um Mandate und Macht kämpfenden Parteien, damit die Wählerschaft sich ein Urteil bilden und gut informiert an die Urnen schreiten kann. Wahlkampf muß nicht plumpe Waschmittelwerbung heißen, sondern ist eigentlich ein ideales Feld für Phantasie und Innovation, aber auch für intelligente Polemik und Ironie.
Als Beitrag für die Veredelung der Wahlkampfkultur wird die tageszeitung deshalb Personen und Initiativen auszeichnen, die im Wahljahr 1994 durch besonders gelungene Wahlkampfbeiträge auffallen.
Ausgezeichnet werden sollen BürgerInnen, PolitikerInnen, JournalistInnen, WerberInnen, Bürgerinitiativ-AktivistInnen und andere ZeitgenossInnen oder Gruppen, die sich um einen besseren Wahlkampf verdient machen: sei es durch Fairneß und Sachlichkeit, sei es durch Phantasie oder politischen Weitblick oder auch durch Unterhaltung im besten Sinne.
Für die Jury des taz-Wahlkampf-Wettbewerbs haben wir folgende Expertinnen und Experten gewinnen können: den Politikwissenschaftler Claus Leggewie, der die Idee für diesen Wettbewerb hatte, die Filmemacherin Freya Klier, den Werber Michael Schirner, die Fernsehkritikerin Barbara Sichtermann, den Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert, den Altpolitiker Hans-Jürgen Wischnewski. Für die taz ist Chefredakteur Michael Sontheimer dabei.
Die Jury wird sich kurz vor der Bundestagswahl treffen, um jeweils drei PreisträgerInnen in drei Bereichen zu ermitteln.
Erstens: Für gelungene Produkte der visuellen Kommunikation beziehungsweise für gelungene visuelle Umsetzung politischer Inhalte.
Zweitens: Für BürgerInnen oder Initiativen und Lobbygruppen, die von sich aus in den Wahlkampf eingreifen.
Drittens: Für Profis oder Laien, die sich wirklich neue Wahlkampfmethoden haben einfallen lassen und diese umgesetzt haben.
Die Preise, die wir für diese Leistungen ausloben, werden den Preisträgern angepaßt. Politiker bekommen prinzipiell taz-Fahrräder, die demnächst lieferbaren ökologisch korrekten Gefährte: pulverbeschichtet, stadttauglich, mit drei bis fünfundzwanzig Gängen, bestem englischem Ledersattel etc. pp.
AktivistInnen werden mit Reisen in Länder belohnt, in denen sie mit Unterstützung der taz-KorrespondentInnen interessante Wahlkämpfe studieren können, sei es in Rumänien, Brasilien oder Kenia. Als kleinere Preise sind die taz- Wahlkampfspiele ausgesetzt, die sich gerade in der Laborphase befinden.
Die Preisverleihung findet Mitte Oktober, kurz vor der Bundestagswahl, statt. Wenn mangels preiswürdiger Vorschläge nicht alle Preise verliehen werden können, wäre das auch ein Ergebnis.
Die Jurymitglieder können und sollen darüber hinaus schon während der laufenden Wahlkämpfe eingreifen: In regelmäßigen Abständen werden einzelne Mitglieder der Jury eine Aktion, ein Plakat, einen Politiker, einen Journalisten oder was auch immer mit Lob oder Tadel bedenken. Diese Zwischenwertungen werden in der taz veröffentlicht.
Der Wahlkampf-Wettbewerb wird allerdings erst dann richtig spannend, wenn die Leserschaft der taz in bewährter Weise aktiv wird. Wir fordern sie dazu auf, die Jury durch Berichte und Dokumente aller Art von den verschiedenen Wahlkämpfen und Vorschlägen zu unterstützen. Sie sind aufgerufen, als TeilnehmerInnen und KundschafterInnen „draußen im Lande“ tätig zu werden. Für den Wettbewerb und die Zwischenwertungen interessante Dokumente, Fotos, Wahlkampfmaterialien, Berichte von Veranstaltungen und ähnliches bitten wir mit dem Stichwort „taz-Wahlkampf- Wettbewerb“ an die taz-Chefredaktion zu schicken (Kochstr. 18, 10969 Berlin).
Wir geben uns der Hoffnung hin, daß wir mit dem Wettbewerb auch die Motivation fördern können, Parteimitglieder nicht mehr in leeren Sälen oder groß angelegten Showveranstaltungen sich selbst zu überlassen, sondern sich in den Wahlkampf einzumischen. Berichte aus dem ersten größeren Wahlkampf dieses Jahres in Niedersachsen deuten darauf hin, daß trotz grassierender Politikermüdigkeit ein überraschend großes Interesse besteht; aber dieses kann auch rasch wieder erlahmen, wenn ausschließlich business as usual praktiziert wird.
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