: Einmal arm, immer arm
Der Weltsozialgipfel wird keine Mehrausgaben für soziale Zwecke beschließen ■ Aus Kopenhagen Nicola Liebert
Die dänische Regierung hatte zum Auftakt des Weltsozialgipfels ein deutliches Zeichen gesetzt: Ab sofort schulden mehrere Entwicklungsländer, darunter Angola, Ghana und Nicaragua, dem dänischen Entwicklungshilfeministerium nichts mehr. Dänemark setzt sich für einen umfassenden Schuldenerlaß für die ärmsten Länder ein, konnte aber offenbar keine anderen Industrieländer dafür gewinnen.
Die Ausschüsse, die schon vor dem Eintreffen der Staats- und Regierungschefs am Wochenende die letzten noch strittigen Punkte des Schlußdokuments klären, haben jedenfalls keine Einigung über Schuldenerlaß erzielt. Weder bilaterale Schulden noch die Schulden bei den internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank zu erlassen, wollen sich die Staaten verpflichten.
Auch der einzige andere Vorschlag, der dazu geführt hätte, daß mehr Ressourcen für soziale Entwicklung zur Verfügung stehen, wurde de facto begraben: die sogenannte 20:20-Verpflichtung. 20 Prozent der Entwicklungshilfe der Länder des Nordens und 20 Prozent der Haushalte der Länder des Südens sollten demnach für die Befriedigung grundlegender sozialer Bedürfnisse ausgegeben werden, also für Basisgesundheitsdienste, Erziehung, sauberes Wasser und Ernährung.
Lange durch die NGOs bearbeitet, hatte sich die deutsche Regierung endlich zu diesem Vorschlag durchringen können. Doch nicht einmal innerhalb der EU konnte darüber Einigung erzielt werden. Nicht nur Großbritannien blockt, wie bei sozialen Themen üblich, auch Schweden begründet seine Ablehnung damit, daß eine solche Regelung ohnehin statistisch nicht überprüfbar sei.
Jetzt haben sich die zuständigen Ausschüsse auf die weichste aller denkbaren Formulierungen geeinigt: 20:20 im Prinzip ja, aber jedes Land soll es so handhaben dürfen, wie es möchte. Was genau soziale Grundbedürfnisse sind, wurde auch nicht definiert. Die Entwicklungsländer stellten sich in ihrer Mehrheit gegen den 20:20-Vorschlag. Die lateinamerikanischen Länder möchten lieber produktive Investitionen statt sozialer Ausgaben. Vor allem die asiatischen Länder wehren sich gegen alles, was einen Eingriff in ihre Haushaltssouveränität bedeuten könnte.
Aus den historischen Erfahrungen heraus legen die ehemals kolonisierten Länder ein ganz anderes Gewicht auf nationale Souveränität als die Länder des Nordens. Aus dem gleichen Grund wehren sie sich gegen jegliche Vorschläge, einen Schuldenerlaß an bestimmte Auflagen zu binden, etwa daß der Gegenwert der Schulden für soziale oder ökologische Zwecke ausgegeben werden muß. Einen pauschalen Schuldenerlaß aber lehnen ihrerseits fast alle Industrieländer ab.
Der deutsche Delegationsleiter Norbert Blüm etwa wird bei dieser Frage immer sehr moralisch. „Wir waren und sind gegen einen generellen Schuldenerlaß“, sagte er vor Vertretern deutscher NGOs. „Ich sehe nicht ein, daß Staaten, die ihr Geld für militärische Ausgaben verpulvern von uns anschließend ihre Schulden erlassen kriegen.“ Zwischenruf aus dem Publikum: „Wer hat denn den Entwicklungsländern die Waffen verkauft?“
Burkhart Gnärig, deutsches Delegationsmitglied von Terres des hommes ist frustriert. „Jetzt ist die letzte der verbliebenen Hoffnungen verschwunden.“ Die 20:20-Verpflichtung und der Erlaß multilateraler Schulden seien das einzige gewesen, wo der Gipfel noch konkrete Ergebnisse hätte liefern können. „Das kann nicht wahr sein, das war die Mühe nicht wert.“ Die Deklaration biete keinerlei Basis mehr, von den nationalen Regierungen etwas einzufordern, so Gnärig. In dieser Hinsicht hat der Gipfel von Kopenhagen anders als die Umweltkonferenz von Rio (1991) nichts gebracht. Für die NGOs ist klar: Nach Kopenhagen fängt die Arbeit an – ab sofort gilt es, die eigenen Regierungen unter Druck zu setzen.
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