: Einmal Einheitsopfer ist genug
Fünf Wochen vor der Volksabstimmung im Mai eröffnete die PDS am Samstag die heiße Phase ihrer Anti-Fusions-Kampagne. Mit der Berliner PDS auf einer eher „lustlosen“ Landpartie war ■ Christoph Seils
Die Berliner Landesvorsitzende der PDS, Petra Pau, ist tief in die Archive hinabgestiegen. Mit einem Ausflug in die Geschichte will sie auch noch den letzten schwankenden Genossen vom Übel der Länderfusion überzeugen. Schon im Mittelalter, so weiß die Berlinerin zu berichten, seien zunächst Brandenburger Raubritter aus dem Adelsgeschlecht von Quitzow und anschließnd die Hohenzollern über die „patriotisch gesinnten Berliner“ hergefallen. Über 400 Jahre lang habe das Berliner Wappentier, der Bär, daraufhin als „Zeichen der Unterwerfung“ eine eiserne Kette um den Hals tragen müssen. Nein, soweit dürfe es nicht wieder kommen. Und um dies zu verhindern, machten sich über hundert Berliner PDSler zur Landpartie auf in die Brandenburger Provinz.
Auf der Reise nach Perleberg, wo am Samstag der gemeinsame Parteitag der Landesverbände von Berlin und Brandenburg die heiße Phase der Anti-Fusions-Kampagne einläutete, machten die Busse zuerst in Neuruppin Station. Viel ist nicht los auf dem Platz der Opfer des Faschismus, es schneit. Ein Berliner Bär verteilt an die Passanten Schuldscheine, schließlich müsse, so die PDS, nach der Fusion jeder Brandenburger 13.000 Mark Schulden von Berlin übernehmen. Fotografen und Journalisten drängeln sich um die PDS-Prominenz. Den wenigen Neuruppinern, die neugierig stehenbleiben, legt der Sprecher der PDS-Bundestagsgruppe, Gregor Gysi, ein Argument besonders nahe: „Ich habe mit dem Einigungsvertrag schlechte Erfahrungen gemacht und bin nun besonders mißtrauisch.“ Daß hier Äpfel mit Birnen verglichen werden, ficht die Zuhörer nicht an. „Jawohl“, zischen sie, „einmal Einheitsopfer ist genug!“
Das regionale Zentrum Neuruppin profitiert besonders von der Strukturförderung in Brandenburg. Zwar ist diese sogenannte dezentrale Konzentration auch im Fusionsvertrag mit Berlin festgeschrieben, aber, so liest PDS-Bürgermeister Otto Theel seinen Bürgern aus dem Fusionsvertrag vor, das gelte nur, wenn es sich das Land leisten könne. Zum Schluß entscheide das Geld, und das lande in Berlin.
Von Perleberg, der Kreisstadt der Prignitz, ist Niedersachsen genauso nur einen Steinwurf entfernt wie die Landesgrenzen zu Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. In die Hauptstadt Berlin jedoch ist es ein weiter Weg. Die PDS ist hier längst ein gutes Stück ostdeutsche Normalität. Der CDU-Landrat der Prignitz wurde mit den Stimmen der Demokratischen Sozialisten gewählt. Seit sechs Jahren kämpfen die Genossen hier gemeinsam mit CDU und SPD um staatliche Fördermittel zur Entwicklung der strukturschwachen Region. Viel Überzeugungsarbeit brauchen die Genossen im nordwestlichsten Zipfel Brandenburgs nicht mehr zu leisten. 90 Prozent der Prignitzer hätten sich in einer Umfrage gegen die Länderfusion ausgesprochen, weiß Brandenburgs stellvertretende Landesvorsitzende Antia Tack dem Parteitag stolz zu berichten.
Nur zwei Stunden haben sich die Genossen Zeit genommen, um die eigenen Reihen für den Endspurt zu rüsten. Selten war sich die PDS in einer politischen Frage in den letzten Jahren so einig. Innerparteiliche Konflikte sind zurückgestellt. Zunächst gilt es, den Zusammenschluß von Berlin und Brandenburg zu verhindern. Die Chancen stehen nicht schlecht.
Die Delegierten folgen den Berichten auf dem Parteitag eher lustlos. Die Brandenburger befürchten, durch Berlins Schulden erdrückt zu werden, die Berliner Frauen stilisieren sich bereits zum Fusionsopfer. Von der „Katze im Sack“ ist viel die Rede, die die PDS nicht kaufen wolle. Aber alle Genossen wissen bereits ganz genau, wie die Katze aussieht. Die Bezirksreform in Berlin wird durch die Fusion legitimiert, die Kulturförderung in Brandenburg in einem gemeinsamen Bundesland zu Lasten der Hauptstadt gekürzt, das Bildungsangebot in beiden Bundesländern verschlechtert.
Schließlich trägt Lothar Bisky eine Resolution vor, der als „Perleberger Erklärung“ die Entschlossenheit der PDS manifestieren soll. „Der Vertrag“, so heißt es dort, ist ein „vages Versprechen“. Er führe zu mehr Zentralismus, er entmündige die Bürger. Einige Berliner Delegierte hätten an dem Text gern noch kleine Veränderungen vorgenommen, doch die Genossen aus Brandenburg haben den Text bereits gedruckt, also wird er wie vorgelegt verabschiedet. Gegenstimmen gibt es keine. Die PDS sagt zur Fusion „nein, nein und nochmals nein“.
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