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Einigungsvertrag gerät ins Wackeln

■ Bonner Regierung warnt: Ohne Staatsvertrag droht „Übertragung“ von BRD-Recht ohne Berücksichtigung der besonderen Wünsche des beitretenden Landes

Bonn (dpa) - Ungeachtet der Regierungskrise in Ost -Berlin hält die Bundesregierung am Fahrplan für einen Beitritt der DDR am 14. Oktober mit einem bis dahin ratifizierten Einigungsvertrag fest. Die Beratungen über den Einigungsvertrag werden am Montag von Regierungsvertretern aus Bonn und Ost-Berlin in Bonn fortgesetzt. Bundeskanzler Kohl appellierte am Freitag an die DDR-Parteien, den Einigungsvertrag mitzutragen. Kohl ließ in Bonn erklären, der Abschluß des Einigungsvertrages würde auch den Vorwurf entkräften, daß es sich bei dem Beitritt „um einen Anschluß der DDR an die Bundesrepublik Deutschland handle“. Am Montag soll in Bonn - parallel zu den Verhandlungen über den Einigungsvertrag - nun auch über ein Überleitungsgesetz als Alternative diskutiert werden - und zwar für den Fall, daß die DDR ohne eine vertragliche Vereinbarung mit Bonn der Bundesrepublik rasch beitritt. Regierungssprecher Dieter Vogel bezeichnete folgendes Vorgehen als denkbar: Bundestag und Bundesrat beschließen mit Zweidrittelmehrheit die notwendigen Änderungen des Grundgesetzes; der Bundestag verabschiedet ein Gesetz zur Aufnahme von 144 DDR -Abgeordneten; die Bundesregierung legt ein Überleitungsgesetz vor, das alle rechtlichen, technischen und finanziellen Fragen der Vereinigung regelt. Vor dem Überleitungsgesetz muß die Volkskammer ihren Beitritt mit Zweidrittelmehrheit erklären.

Kanzleramtsminister Seiters (CDU) warnte die DDR-SPD davor, sich dem Abschluß des Einigungsvertrages zu widersetzen. Ohne einen solchen Vertrag würde der Beitritt ein Überleitungsgesetz zur Folge haben, „und das heißt: Übertragung bundesrepublikanischer Rechte auf das Gebiet der DDR ohne Berücksichtigung von besonderen Wünschen des beitretenden Landes“. Auch die Bonner FDP zieht einen Einigungsvertrag jedem anderen Verfahren zum DDR-Beitritt vor. FDP-Chef Lambsdorff meinte, es müsse jede Regelung vermieden werden, die nach einem Anschluß aussehe.

SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine bot der Bundesregierung jede Hilfe an, um den von Kohl und deMaiziere angerichteten Schaden zu begrenzen. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Roth, hält hingegen einen schnellen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik mit Überleitungsgesetzen für besser als weitere Verhandlungen über den Einigungsvertrag. „Jeder Monat Verzögerung kostet den Steuerzahler mindestens eine Milliarde Mark“, sagte Roth am Freitag in Bonn.

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