Einigung auf europaweite Akte: Gesundheitsdaten EU-weit verfügbar
Die EU-Gremien haben sich auf eine gemeinsame Patientenakte geeinigt. Kritiker warnen vor negativen Folgen für die Patienten.
Der Deal sieht vor, dass Vorerkrankungen, Röntgenbilder oder Medikamentenverschreibungen digital in elektronischen Patientenakten gespeichert werden. Damit sollen sie Patienten, aber auch dem ärztlichen Personal in der gesamten EU zur Verfügung stehen. Für Forschungszwecke soll es zudem möglich sein, dass die Daten pseudonymisiert herausgegeben werden. Für Werbezwecke, Versicherungen oder Kreditvergabe soll das aber tabu sein.
Auch bei der Jobsuche sollen die Gesundheitsdaten nicht genutzt werden. Die Patienten sollen bei jeder Erfassung informiert werden und die Daten bei Bedarf korrigieren können. Außerdem soll es die Möglichkeit geben, gegen eine etwaige „Zweitverwertung“ einen Widerspruch einzulegen. Auch die Datenschutzbeauftragten sollen eine Rolle spielen; bei Verstößen können sie Strafen verhängen.
Die EU-Kommission lobte die Einigung als „zentralen Baustein der Gesundheitsunion“, die seit der Coronakrise aufgebaut wird. Allerdings ist die Rechtsgrundlage wacklig; die Gesundheitspolitik ist eine Domäne der EU-Staaten. Auch für die Erfassung und Speicherung der Patientendaten gibt es bisher keine EU-weiten Regeln. In einigen Länder wie Belgien werden die Daten bereits genutzt, in anderen wie Deutschland steht das noch am Anfang.
Aus dem Europaparlament kommen gemischte Kommentare. Die Verhandlungsführer loben den Kompromiss. „Die Bürger erhalten die Kontrolle über ihre Daten“, sagte der konservative EU-Abgeordnete Tomislav Sokol aus Kroatien. Der Deal stelle sicher, dass die Gesundheitsversorgung in der gesamten EU auf der Höhe der Zeit sei, sagte Annalisa Tardino von der rechtsextremen Lega aus Italien.
Wesentlich kritischer äußerte sich Patrick Breyer von der Piratenpartei. Ein europaweiter Zwang zur elektronischen Patientenakte sei zwar verhindert worden. Wer der elektronischen Patientenakte oder ihrer Auswertung nicht insgesamt widerspricht, ermögliche jedoch auch einen grenzüberschreitenden Zugriff durch ausländische Behandler, Forscher und Regierungen.
Breyer kritisiert das scharf: „Das widerspricht dem Interesse der Patienten, von denen laut einer Meinungsumfrage nur eine Minderheit einen grenzüberschreitenden europaweiten Zugriff auf ihre Patientenakte wünscht.“ Ähnlich äußerte sich der europäische Verbraucherverband BEUC: Es sei „eine Schande“, dass Patienten nicht einfach Nein sagen könnten.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Abschied von der Realität
Im politischen Schnellkochtopf
US-Außenpolitik
Transatlantische Scheidung
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen